In Moldawien.

Chisinau

Bevor man wegfährt, ist da meistens ein bestimmtes Bild im Kopf. Von Moldawien – erstmal nichts. Irgendwie Osteuropa, vielleicht schon Russland, sicher auch bizarr. Nach kurzer Recherche immerhin die Information, dass Moldawien das ärmste Land Europas ist. Moldawien gehört zu Europa? Das ist schon mal gut zu wissen.

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Was zuerst auffällt sind die Handys. Und deren ständige Benutzung. Unsere Dolmetscherin sagt, dass man sich auf viele Dinge hier nicht verlassen kann. Deshalb müssen am Handy Zeiten neu verhandelt werden. Ansonsten helfen die Bilder, die man von Russland glaubt zu haben. Sozialistische Architektur neben deutlich kaputten Gebäuden neben Werbeplakaten von Tommy Hilfiger neben Glaspalästen neben historischen Bauten. Alles zusammen und alles ergibt irgendwie kein Ganzes. Alte Frauen schieben betagte Kinderwagen aus Supermärkten, junge Frauen tragen die unmöglich höchsten Absätze oder Stiefel, Männer gestreifte Pullover. Dazwischen immer wieder Hunde, Hunderippen vor allem, die ein eigenes Leben in den Straßen führen und gelernt haben eine vierspurige Straße im dichtesten Morgenverkehr zu überqueren.

Chişinău

Chişinău

Worte sind Politik. Russisch oder rumänisch. Russisch, so erzählt unsere Dolmetscherin und behauptet, russisch sei die Sprache der Besatzer, die auch 17 Jahre nach der Unabhängigkeit in das Geschehen des Landes eingreifen würden, die den separierten Teil des Landes, Transnistrien, förderten, die die herrschenden Kommunisten unterstützten, welche wiederrum den Leuten auf den Land erzählen würden, wie schlecht alles nach der Unabhängigkeit geworden sei, die dafür sorgen würden, dass eine Ausreise aus dem Land nahezu unmöglich sei. Wer kann, spricht rumänisch. Da ist die Einstellung, eines Tages möglicherweise wieder Teil von Rumänien zu sein, wenigstens aber Teil von Europa, um so die eigene Identität zu bewahren.

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Und da ist der Stolz. Der Stolz, ein Land zeigen zu können, über das so gut wie nichts bekannt ist. Moldawien hat den größten Friedhof Europas. Den einzigen Ort, an dem man bergauf rollen kann. Und den größten Weinkeller der Welt. 16 Millionen Liter, tief in der Erde vergraben, ein gigantisches Gewölbe mit verstaubten Flaschen, endlosen Gängen und riesigen Fässern. Amerika sichert sich mit Gold aus Fort Knox ab, Moldawien mit Wein.

Edinet

Wein. Alkohol. Natürlich stimmt auch dieses Bild. Wird zu jeder Zeit gereicht. Am besten in Plastikflaschen. Weil der beste Wein der eigene ist und der wird in diese Plastikflaschen gefüllt und stolz verteilt. Immer wieder lässt der Gastgeber die Flaschen kreisen, dazu gibt Samasuppe und Pletschina aus Teig und mit Quark oder Kartoffelfüllung.

Edinet

Die Supermärkte. In vielen Belangen eins zu eins wie unten in deiner Stadt, nur dass hier die Taschen in Schließfächern verstaut werden müssen. Deutsche Dosentomaten, Süßwaren, Stofftaschentücher und Reinigungsmittel. McDonalds, Mango, der neue Russel-Crowe-Film. Im Fernsehen laufen russische Videos, deren plastikfarbene SängerInnen genauso die letzten fünfzig Jahre Popkultur verstanden haben wie die großen Vorbilder im Westen.

Edinet

Chişinău, wo über zehn Prozent aller Moldawier leben, besteht aus einem kilometerlangen Boulevard. Der trägt den Namen des größten Volkshelden, bis 89 noch Lenin, seitdem Stefan cel Mare, Stefan der Große. Niemand anders dominiert das Land so wie er. Im Zentrum steht seine Statur, rechterhand Regierungsgebäude, Präsidentensuiten, Botschaften, linkerhand die schimmernden Errungenschaften des Westen. Nur wenige Seitenstraße vom Boulevard entfernt dann das Chişinău, welches wieder und wieder zerstört wurde, zuletzt ausgebombt am Ende des zweiten Weltkrieges. Dort sind die kleinen, schmalen Häuser hinter den Zäunen, wo Wäsche im Hof hängt und Hähne krähen, das Chişinău, welches man als ursprünglich bezeichnen möchte.

Edinet

Am Ende weiß man: Kein Trinkgeld für Taxifahrer. Eine Busfahrt kostet einen Lei, also weniger als 8 Cent. Und in jeden noch so vollen Bus passen noch vier Leute mehr rein. Lieber wird mit Klimanlage oder Elektroofen geheizt, weil die Stadtwerke unzuverlässig sind. Die Heizung kennt nur aus oder brüllend heiß, was bedeutet, bei Minusgraden bei offenen Fenster zu schlafen, um die Hitze halbwegs erträglich zu machen. Ansichtskarten gibt es kaum, weil es zu wenige Touristen ins Land verschlägt. Im Supermarkt läuft die schrecklichste Musik von allen. Dafür aber extra laut.

Chişinău

3 Gedanken zu “In Moldawien.

  1. Hallo,

    der kleine Bericht trifft das Moldawien ziemlich gut. Wann warst du denn da? Und warst du länger in Edinet? Ich habe dort ein Jahr verbracht und gleich den Platz vor der Schule, am Stefan Cel Mare (das Foto mit dem Bus) erkannt. Wie lange warst du in dem Land unterwegs?

    Einen schönen Abend

  2. Wer kann, spricht Rumänisch?

    Ich bin gerade in Chișinău und kann das nicht bestätigen. Auf der Straße, in den Läden und Restaurants dominiert das Russische eindeutig, scheint mir.

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