Musik im Halbjahr 2010.

Im Mai von Halbjahr zu sprechen ist wie ein Jahresrückblick im November. Trotzdem und weil die nächsten Wochen eher weniger Zeit bleibt für neue Musik hören sowie darüber schreiben und in diesen ersten 4 1/2 Monaten schon unglaublich viel erschienen ist, was mich an unterschiedlichsten Punkten tief getroffen hat: ein Satz oder mehr pro Album, ganz im Stil des 140-Zeichen-Dogmas, das ja den Humor weniger aus dem Inhalt als aus der Kürze zieht. Alphabetisch von 65 bis T.

65daysofstatic – We Were Exploding Anyway
Atmosphärisches Äußeres, innen mehr Prodigy als je zuvor. Goodbye Postrock.

A Weather – Everyday Balloons
Der Soundtrack zu stillen Wassern oder visueller noch, in Aquarell getupfte Melancholie.

And So I Watched You From Afar – And So I Watched You From Afar
Progressiver Postrock, der all die Gitarren verwendet, auf die die Größen des Genres aus Gründen der Askese verzichten

Blood Red Shoes – Fire Like This
Der Flashsideway unter den besten Alben des Jahres.

Dendemann – Vom Vintage verweht
Für Liebhaber von Wortspielen und Samples von Liedern, die sowieso in Bestenlisten Spitzenplätze belgen.

Die Sterne – 24/7
Frank tanzt. Ohne Worte.

Eels – End Times
Der kleine Bruder von „Electro Shock Blues“. Mehr Fingerübung als Herzblut.

Get Well Soon – Vexations
Überambitioniert, in jeder Hinsicht opulent und überladen. Glücklicherweise. Die Überraschung lauert im Cover.

Jonsi – Go
Sigur Ros als reiner Pop. Produziert Endorphine alle halbe Sekunde.

Kate Nash – My best friend is you
Hieß im letzten Jahr noch „It’s Not Me, It’s You.“

Lali Puna – Our Inventions
Was 65daysofstatic zuviel spielen, spielen Lali Puna zu wenig. Vertrackt und größtenteils verhuscht.

Massive Attack – Heligoland
Kollaborationen ohne Kolateralschaden. Zurück auf der Schiene der Geschichte.

Olafur Arnalds – And They Have Escaped the Weight of Darkness
Dagegen eine Frohnatur: Eyjafjallajökull.

Red Sparowes – The Fear Is Excruciating, But Therein Lies The Answer
Die Permertesackers des Postrocks. Gehören unbedingt dazu, aber die Tore schießen andere.

Seabear – We Built a Fire
Die sympathischsten Pyromanen mit exakt den Liedern aus Island, die man sich als Lieder aus Island imaginieren würde.

Shout Out Louds – Work
Wenn „Howl Howl Gaff Gaff“ „Star Wars“ wäre und „Our Ill Wills“ „Das Imperium schlägt zurück, dann ist „Work“ „Der Angriff der Klonkrieger.“ Trotz „Fall hard“ und „Walls.“

Sophie Hunger – 1983
Drei Sprachen, ein Gesamtkunstwerk. Am besten in französisch.

Spaceman Spiff – Bodenangst
2008 veröffentlicht, 2010 gekauft, geliebt und auswendig gelernt.

The National – High Violet
Wenn Musikjournalistenblogger abstimmen würden, jetzt schon Platz 1. Für Blogger, die auch über Musik schreiben, bleibt Matt Berningers Stimme immer die aus „Fake Empire.“

The Unwinding Hours – The Unwinding Hours
Ein Album wie „Knut“ – beginnt verhalten und wächst und wächst und wächst, bis es unverzichtbar wird.

These New Puritans – Hidden
Die Deluxeedition gibt den Ton an – jede Note dieser modernen Oper atmet Ewigkeit.

Tocotronic – Schall & Wahn
Kontrolle und Rausch, Trost und Ansporn, Epos und Oszillation. Wären Tocotronic eine TV-Serie, dann die Dialoge von „The West Wing“, den Perspektivenwechsel von „Dexter“ und die Mystik von „Fringe“. Lauter Staffelfinali natürlich.

Turbostaat – Das Island Manöver
Assoziationen, die mittlerweile Welten erschaffen haben. Der Rost am Schwert der Revolution und Standardwerk auf Jahre hinaus.

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