Alte Damen
Im Publikum größtenteils ältere Damen, was mich wehmütig werden lässt, so, als möchte ich glauben, die Damen würden diesen altmodischen Film sehen und sich dabei an die Musicalfilme ihrer Jugend erinnern und damit in ihre Jugend zurückversetzen wollen.
Kapern, kopieren, zerstören
Der Film beginnt mit einem Tanz während eines Staus auf dem Highway. Menschen reißen Autotüren auf, bewegen sich tanzend aufeinander zu, die Individuen vereinen sich zu einer gut gelaunten Masse, die ein alltägliches Ärgernis in eine Feier der guten Laune verwandelt.
Ich fühle mich unangenehm an die Werbung von Mobilfunkanbietern erinnert und frage mich, ob nicht alle filmischen Augenblicke längst von der Werbung gekapert, kopiert, imitiert und damit zerstört wurden und ob ich gute Laune in Kinofilmen überhaupt noch aushalten möchte.
Rothaarig, mit blasser Haut
Schnell wird eines der zentralen Themen von La La Land deutlich: Individualität. Vielleicht am eindringlichsten geschieht das in der Castingszene, in der Mia auf dutzende, ebenfalls rothaarige Schauspielerinnen mit blasser Haut und großen Augen trifft und klar wird: Es gibt viel zu viele wie mich, als dass ich besonders sein könnte. Und dennoch muss ich natürlich vom Gegenteil überzeugt sein.
Primärfarben
Ich mag die starken Farben der Kleider. Überhaupt sollten Filme mehr mit starken Farben arbeiten. Das Matrixgrüne-Zeitalter sollte niemals wiederkehren.
Die Wange Ingrid Bergmans
Eine Wand von Mias Zimmer ist mit dem Abbild von Ingrid Bergmans Gesicht bedeckt. So raumgreifend ist das Gesicht, dass die Wange allein größer als Mia wirkt und aus einer glatten, einfarbigen und damit konturenlosen Fläche zu bestehen scheint, ein Star, der sich beim Näherkommen auflöst.
Mit Legenden bemalte Häuserwände
Auffällig oft läuft Mia an mit Bildern von Filmlegenden bemalten Häuserwänden vorbei; Marlon, Humphrey, W.C., Marilyn, James etc.
Die zwei Ryans
In der ersten halben Stunde sieht Ryan Gosling wie Ryan Reynolds aus.
Mia & Sebastian
Froh bin ich auch, wenn das Zeitalter der Mias vorbei sein wird. Den unaufgeregten Klang des Namen Sebastian empfinde ich als angenehm. Die Abkürzung Seb hingegen jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Emma Stones Augen
In Emma Stones Augen passen Ryan Goslings Augen mindestens fünfmal hinein.
Tanzen vor Kulissen
Die Zimmereinrichtungen, vor allem die Straßenzüge wirken zweidimensional, wie Kulissen.
Jazz
Dafür, dass der gute alte, also wahre Jazz so eine zentrale Bedeutung im Film spielt, wird er erstaunlich selten gespielt.
Das Bild passt sich der Geschichte an
Schön finde ich, wenn nicht ein Bild passend zum Stand der Geschichte gesucht wird. Sondern sich das Bild der jeweiligen Verfassung der Figuren anpasst, sich entsprechend verändert und der Film die Übergänge sichtbar macht. Wenn also Licht verlöscht und sich in der Dunkelheit ein neues Licht langsam an die Heldinnen und Helden herantastet.
Magische Beine zum Beispiel
Während der Szene auf der Parkbank, als sich Mia und Sebastian durch die gesungene Verneinung ihrer Gefühle ihrer wahren Gefühle füreinander bewusst werden, wird deutlich, dass die einprägsamen Musicalszenen nicht im Großen und mit der Masse geschehen, sondern stattfinden, wenn die kleinen, alltäglichen Dinge zauberhaft werden, wenn zum Beispiel Beine etwas Magisches bekommen oder Handtaschen.
Der Tanz unserer Geliebten
Direkt an schließt sich eine kurze Szene, in der Sebastian auf dem Pier an Mia denkt, dabei ins Singen kommt, spontan eine ältere Dame zum Tanz bittet, ein Tanz, der nur eine kleine Runde währt, weil schnell der Ehemann Einspruch erhebt und Anspruch anmeldet, weil es seine Frau ist. Und mit der möchte er tanzen.
So ist das auch im Kino: Die Stars tanzen eine kleine Runde mit unseren Geliebten, damit wir den Tanz in unseren Leben fortsetzen können.
Küssen in Zeiten von Tinder
Mia und Sebastian sitzen im Kino, schauen Denn sie wissen nicht, was sie tun und bandeln dabei an – schüchterndes Berühren der Hände, verstohlenes hoffnungsvolles Anschauen, Vorbeugen zum Küssen, Lippen spitzen. All das geschieht in Zeitlupe, mit seltsamer Unschuld in Zeiten von Tinder.
Sternwarte der Wirklichkeit
Weil der Film unmittelbar vor dem Kuss durchbrennt, verlassen die beiden das Kino und besuchen das zuvor im Film gesehene Griffith Observatory. Das Unwirkliche wird durch das Tatsächliche ersetzt. Das wieder nur im Film zu finden ist.
Schlecht muss gut genug für ganz gut sein
Als Mia das Konzert von Sebastians Band besucht und dort Start a Fire hört, welches ausdrücken soll, dass Sebastian seine Träume aufgegeben hat, denke ich, wie schwer es sein muss, ein Lied zu schreiben, das schlecht klingen soll, aber dennoch gut genug für eigentlich ganz gut.
Mia die Legende
So wie Mia zu Beginn an mit Bildern von Filmlegenden bemalten Häuserwänden vorbei lief, läuft Sebastian am Ende an solch einer Wand vorbei. Darauf ist das Konterfei von Mia zu sehen, doppelt so groß wie Ingrid Bergman. Mia ist nun selbst zu einem überlebensgroßen Bild geworden.
Quatsch, die Oscars
Es fällt schwer, die Golden Globes und Oscars nicht mitzudenken und sich zu fragen: Hat der Film diese Preise verdient? Ist La La Land tatsächlich der beste Film des Jahres? Fragen, die natürlich großer Quatsch sind, ebenso wie Erwartungen. Hätte ich La La Land vor drei Monaten und damit vor dem Hype gesehen, hätte ich den Nachfolger des grandiosenWhiplash von Damien Chazelle erwartet. Und kein nostalgisches Hollywoodmusical, das sich seiner selbst bewusst ist und das stetig thematisiert.
Whiplash
Auch Whiplash erzählt vom Künstlerdasein und vom Aufgeben, vom Einsetzen, vom sich verlieren. Nur eben in einer gänzlich anderen Form und Intensität.
Siegen statt Scheitern
Bedauerlich finde ich, dass sowohl Mia als auch Sebastian ihre Träume verwirklichen können. Weil die Wahrscheinlichkeit dafür in der Realität selten bei hundert Prozent liegt.
Traum für Traum
Aber vielleicht ist das die offensichtliche Quintessenz des Films? Für einen Traum müssen die anderen geopfert werden? Also entweder beruflicher Erfolg oder die große Liebe?
Dann wäre La La Land womöglich der Abgesang auf die sogenannten klassischen Hollywoodfilme, in denen die Liebe die Heilsversprechung ist. Dann wäre La La Land ein gutgelauntes Melodram. Denn hier obsiegt die Selbstverwirkung, was in letzter Konsequenz radikal egoistisch ist, weil die Figuren lieber Individuen bleiben, als ineinander aufgehen wollen.
Dieses Leben hätte das unsere sein können
Ich mag Filme, die ein alternatives Universum anbieten – hier eines, in dem Mia und Sebastian sich für ein Zusammensein entschieden haben. Dazu passt, dass der Film dafür dieses hypothetische Leben im Zeitraffer durchspielt, in dem die Mia und Sebastian ihre Zukunft als Film in der Möglichkeitsform anschauen können, ein Service, den es in der Realität glücklicherweise nicht gibt.
Das Ende der Illusion
Am Ende enttäuschen mich die romantischen alten Damen. Sobald Ende auf der Leinwand erscheint, raffen sie hastig ihre Kaschmirschals und falschen Nerze zusammen und stürmen aus dem Kinosaal. Als wäre die Wirklichkeit jemals besser als die Flucht davor.