Ich sehe auf die Fotos und augenblicklich kehren die Momente zurück, Zeiten und Orte, 2009, 2011, 2015, Altona, Leipzig, lauter gute Tage, viele besonders, viele wichtig. Ein weiterer Moment stellt sich dazu, jetzt und hier geschieht er, der Moment, der sagt: Den asphalt & anders-Verlag gibt es nicht mehr.
2009, ich schicke eine Erzählung ins unbekannte Hamburg, kurz darauf die Anfrage nach etwas »Größerem«, ich schicke das Manuskript von Der Schlaf und das Flüstern, wenige Tage später die Zusage. So schnell geht das und von da an laufen wir gemeinsam.
Für Stefan, Nico und mich ist dieses 2009 der Beginn. Im Frühjahr erscheint das erste Buch des Verlags – Schau gen Horizont und lausche, eine Anthologie mit Geschichten über Städte. Im Herbst dann unser aller erster Roman, eben Der Schlaf und das Flüstern. Dem voraus geht ein Frühsommer / Sommer, in dem wir daran arbeiten, schreiben, gestalten, setzen, verknüpfen. Zu dieser Zeit bin ich in Israel, tagsüber Dreharbeiten, am Abend und in der Nacht lese ich die Anmerkungen im Manuskript, ergänze später in den Fahnen.
Die erste große Präsentation ist auf der Buchmesse in Frankfurt, natürlich auch eine maximale Überforderung, ein Zustand zwischen Euphorie (unser Buch!!!) und Ernüchterung (so viele Bücher, was macht da eins mehr schon). Wichtiger werden die Lesungen danach, in den Literaturhäusern, alternativen Zentren, den Radiostudios und Weinschlauchgemäuern, weil schnell klar wird, dass asphalt & anders bedeutet, draußen zu sein, zu reisen, oft besser das Mikrofon gerade so mit Tesafilm an der Halterung befestigt als mit gestärkten Tischtüchern in Sälen sitzen.
Ein halbes Jahr später, auf der Messe in Leipzig, die Frage, ob ich nicht meine Erzählungen veröffentlichen wolle. Im Herbst kommen Nico und Stefan nach Weimar, ein Besuch mit Familien, ein gemeinsames Wochenende. Wir bereiten Ausschau halten nach Tigern vor, das damals noch nicht diesen Namen hat, sitzen am Küchentisch, puzzeln die Reihenfolge der Erzählungen zusammen, überlegen, was dem Hidden Track noch folgen könnte. Das Foto von Nico und Stefan, das offizielle Verlegerfoto, das Foto, das auch die Meldung vom Ende des Verlags bebildert, entsteht in Weimar, im Schwanseepark. Lens Flare, Sonnenschein, der Fokus leicht unruhig, es fängt, denke ich, ein, was der Verlag war, was beide sind.
Mit Stefan und Nico ist es immer ein gemeinsames Suchen, ein Probieren, und Wagen, manchmal auch ein Feststellen, was nicht funktioniert und beim nächsten Mal dann anders machen. Es ist ein Schicken von Mix-CDs, Anmerkungen an den Seitenrändern, nachts nach der Lesung auf U-Bahnstationen auf die letzte Bahn warten, es sind Altona und Alster, es ist der Spruch »Party Party Party« und mit Martin in Bamberg ILikeTrains hören, es ist Henry Sy im Zwischenraum und das Gewimmel der Moritzbastei. Natürlich sind die Rollen verteilt, die Aufgaben, Verleger, Autor. Darüber hinaus sollen die Worte nicht verklären, aber schreiben, was war, sie sollen mit voller Überzeugung, aus tiefster Dankbarkeit sagen: Wir waren miteinander unterwegs und die Reise war besonders.
2020 schließt asphalt & anders seine Pforten. Im Buchregal vor meinem Schreibtisch stehen alle Veröffentlichungen des Verlags nebeneinander. Es sind bunte Rücken, jeder anders und doch scheint alle etwas zu einen, sie alle treten heraus, sie erzählen von der Nische als Welt. Ich sehe dahin, mein Herz springt auf und wird zugleich schwer dabei. Danke, Nico, danke Stefan, diese 10er Jahre waren asphalt-Jahre.