Coronamonate. Januar 2022.

31. Januar | Bad News Overkill

Im Kindergarten heute ein Omikronfall. So beginnen die Informationen, das Gehörte, das Aufgeschnappte und Gewhatsappte zu fließen und sich zu dutzenden Fragen aufzutürmen: Welche Gruppe? Welche Gruppe noch? Wer hatte Kontakt zu wem? Wann wurde schnellgetestet? Wann mit PCR? Welche Kinder waren am Schnelltesttag in der Gruppe? Welche Erzieherinnen? Wo waren Kinder und Erzieherinnen später? Wann kommt der Anruf vom Gesundheitsamt mit den weiteren Anweisungen? Was sagen diese Anweisungen? Welche Gruppe wird geschlossen? Wie lange? Bedeutet das Quarantäne? Was ist mit möglichen Geschwisterkindern in anderen Gruppen? Bleiben die auch zuhause? Was ist mit den Elternteilen, geimpft, geboostert? Gibt es ungeimpfte Erzieherinnen? Wann endet eine mögliche Quarantäne? Kann man sich freitesten? Werden Einjährige überhaupt getestet?

Lauter Fragen praktischer Art, weil an den Antworten die nächsten Tage, die Woche, alle Pläne hängen, auch die Sorgen. Das Hypothetische, das Wahrscheinliche wird allmählich Realität, gießt sich in den Februaranfang.

Darüber hinaus lese ich von einer dänischen Studie, die Long Covid bei Kindern beschreibt. Lese von der Omikron-Variante BA.2, die noch ansteckender ist und den Immunschutz noch gewissenhafter umgeht. Lese, dass nach Omikron durchaus wieder das gefährlichere Delta kommen könnte. Lese über die Endemie: a disease can be endemic and both widespread and deadly. Und das reicht dann mal an schlechten Nachrichten für einen Tag und ich klappe das Ansonsten zu.

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Und dann lese ich doch weiter. Einen interessanten Thread darüber, wie wenig hilfreich das Aussprechen schrecklicher Wahrheiten ist, wenn es allein dazu dient, Fatalismus zu zelebrieren, und ob es nicht sinnvoll wäre zu fragen, wie das Schlimme als Chance für eine Veränderung hin zum Besseren formuliert werden könnte. Und das könnte ja ein Vorsatz für den Februar sein.

30. Januar | auf dem Hof einer Klinik

Vor einigen Tagen eine Diskussion über die Spaziergänge geführt. Mein Gegenüber verurteilt die Gewalt und Ausschreitungen, das Feindliche und Aggressive auf diesen Spaziergängen und vertritt den Standpunkt, dass diese Gewalt von einer Minderheit ausgehe, dass viele unbesehen davon mitlaufen und dass, wenn man dies gewaltlos tue, es eine legitime Form sei, Unmut über die deutsche Coronapolitik zu äußern, dass man differenzieren müsse zwischen den Mitgehenden.

Auch wenn ich der Meinung bin, dass es natürlich immer legitim sein muss, Unmut und Protest zu äußern, gerade gegen Regierungen, ist mein Standpunkt ein anderer. Aber vor gewisser Zeit der Entschluss, bei diesen Spaziergängen eben nicht mehr differenzieren und Verständnis suchen zu wollen, auch in dieser Diskussion, die wir beide schon oft geführt haben.

Darüber die abstrakte Frage: Kann eine Demonstration überhaupt differenziert betrachtet werden? Ist es nicht gerade Zweck einer Demonstration, dass Individuen zusammenkommen, um ein Anliegen groß zu präsentieren, bei dem jede für ein Ganzes steht? Auch wenn ich in eine Menschengruppe hineinzoome und die Einzelne über ihre Beweggründe befrage, muss die Botschaft doch eine sein, weil, was wäre das sonst?

Mein Standpunkt in der Diskussion war, dass die Maßnahmenproteste zwei Jahre Zeit hatten, ihr Wesen zu finden und zu zeigen. Dieses Wesen ist mittlerweile bekannt, all die Streams, Videos, Interviews, Berichte, Reden zeugen davon. Mein Gegenüber argumentiert dagegen, sagt, dass natürlich die gewalttätige Ausnahme immer Verbreitung und Beachtung findet, die zehn übergriffigen Spaziergänge werden besprochen, die anderen nicht. Das Bild verzerrt sich.

Ich setze dagegen, dass es keine Ausnahmen sind, dass die Ausnahmen Charakter der Proteste sind, von Anfang an schon. Letztens in einen Eintrag von April 2020 hineingelesen, das Transkript einer damaligen »Hygiene-Demo«. Darin finden sich die Schlüsselwörter von heute, Angriff auf freie Bürger, NWO, KZ. Das war so und ist weiterhin so, wer mitläuft, muss davon Kenntnis haben. Wer kann behaupten, nach fast zwei Jahren Protesten unwissend zu sein. Wer mitläuft, nimmt in Kauf, stimmt damit zu, das ist mein Argument.

Mein Gegenüber fragt nicht danach, aber er könnte: Ist es so überhaupt noch möglich, öffentlich gegen die Maßnahmen zu protestieren und sich dabei abzugrenzen von Rechtsextremen, Verschwörungsmystikern, Übergriffe gegen Journalistinnen, gegen Angriffe auf Krankenhäuser? Ich weiß es nicht, es sollte möglich sein, es ist nicht meine Aufgabe, mir Gedanken über eine passende Form zu machen. Vielleicht liegt es in der Sache selbst, dass die Spaziergänge sind, wie sie sind.

Wie gestern.

Gestern stürmen Corona-Spaziergängerinnen in den Hof einer psychiatrischen Einrichtung in Leipzig. Ich schrieb im gestrigen Eintrag nicht darüber, weil nicht eindeutig war, ob es sich um eine zielgerichtete Aktion handelte oder der Versuch war, sich der Polizei zu entziehen. Letztlich ist es auch egal, weil als Ergebnis Querdenkerinnen im Hof einer Psychiatrie stehen, lärmend, bedrohlich, aggressiv. Wie Jakob Hein schreibt: »… In Kliniken liegen die Schutzbedürftigsten der Gesellschaft, der Grund, warum wir überhaupt Gesellschaften haben … Für die psychisch schwer Kranken und das betreuende Personal muss es ein Alptraum gewesen sein, was da passiert ist. Denn sie konnten ja über längere Zeit nicht wissen, wie dieser Tag dort enden wird.« Das ist das eigentliche Wesen der Spaziergänge, wäre mein Argument, dieses Bild – Coronaspaziergänger stürmen den Hof einer Klinik, bedrohen die Schutzbedürftigen.

Ansonsten: Hunderte Lkw-Fahrer, die in Vancouver gestartet waren, um auf einer tagelangen Protestfahrt gegen die kanadische Coronaimpfpflicht zu protestieren, erreichen Ottawa. Endemisch.

29. Januar | während

Während man über die Absurdität der Regeln schreibt und feststellt, wie milde der Omikronverlauf ist und Pandemie in Endemie umdekliniert und für den Gesundheitsminister die Welle unter Kontrolle ist, vergisst man leicht das Coronasterben, an jedem dieser Tage einhundertachtzig Menschen, weiterhin in jeder Januarwoche über tausend, im ersten Monat des Jahres sechstausend Coronatote.

Ansonsten: Wie Neil Young will auch Joni Mitchell aus Protest gegen einen erfolgreichen Podcast, der Coronafakenews verbreitet, ihre Songs von Spotify nehmen lassen. Um den deutschen Coronaregeln zu entkommen, wollen Hunderte Deutsche nach Paraguay auswandern, nun ändert das Land die Einreiseregeln und verlangt dafür eine zweifache Impfung. Mormonische Missionare bringen das Virus auf die Insel Kiribati, die bisher coronafrei war.

28. Januar | Ohnmacht, Wut und Unverständnis

Ohnmacht, weil die Maßnahmen nicht ausreichend Schutz versprechen. Ohnmacht, weil so viel versäumt wurde und nun nicht mehr aufgeholt werden kann. Ohnmacht, weil man sich einer Regierung ausgeliefert fühlt. Ohnmacht, weil die Ansteckung unvermeidbar scheint. Ohnmacht, weil die Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, nicht durchsetzbar sind. Ohnmacht, weil man im Prinzip nicht weiß, wie angemessene Maßnahmen für diese spezielle Situation aussehen könnten. Ohnmacht, weil andere nicht wollen, was sie müssten.

Unverständnis über die Regeln, die allgemeingültig sein müssen und im Konkreten so oft Absurdes produzieren. Unverständnis über die Ausnahmen. Unverständnis über all das Ausgelassene und schlampig Nichtgeregelte, die Regeln für die Genesenen, die Regeln für jene, die mit Johnson und Johnson geimpft wurden. Unverständnis für jene, die sich über die Regeln hinwegsetzen. Unverständnis darüber, dass es noch Regeln gibt. Unverständnis, dass die Regeln erst mit großem Versatz an die aktuelle Situation angepasst werden. Unverständnis, dass die Regeln für die Ungeimpften aufgrund der Erkenntnis, dass der Impfstoff nicht signifikant vor Ansteckung und Infektion schützt und dass die Mutante offenbar nicht zu der erwarteten Überlastung der Krankenstationen führt, nicht hinterfragt werden. Unverständnis, dass viel zu viele sich dem einfachen Schutz einer Impfung verweigern.

Wut, dass viel zu viele sich dem einfachen Schutz einer Impfung verweigern. Wut, dass man zur Impfung gezwungen werden soll. Wut, wenn jemand die Maske nicht trägt. Wut, weil man die Maske tragen muss. Jede Menge Erschöpfung in einer komplexen Situation, in der die Gegebenheiten sich noch einmal heftiger als zuvor widersprechen: das vermutlich weniger gefährliche Omikron als Absprung in die Endemie gegen die Durchseuchung, deren Folgen nur geschätzt werden können. Ohnmacht deswegen und Unverständnis, ein Ineinanderkrachen von Standpunkten, das Verlieren des letzten bisschen Ausharrens, der letzten Kraft, weil Regeln bestehen sollen und das Virus laufen muss und geimpft werden soll und nicht überlastet und die Kinderinzidenz längst dauerhaft im vierstelligen Bereich.

So viel, was sich gegenübersteht, so viele Linien. Es braucht ein Rauskommen aus dem ständigen Aufeinandertreffen der nur schwer aufzulösenden Widersprüche. Es braucht ein Ende der Pandemie, damit es ein Ende der Regeln geben kann und damit ein Ende dieser Belastung für alle, die alle kirre macht. Ein frommer Wunsch, ein Nullsatz, dieser Wunsch nach dem Pandemieende, weil das Virus nicht schaut, wo der gesellschaftliche Aggressionspegel steht, wie viel davon noch auszuhalten ist, wie lange das permanente Angespanntsein.

Ein Nullsatz, weil sich das Virus verbreitet und versucht sich anzupassen und es kann sein, dass in einem Monat oder zwei die aktuelle Variante für das notwendige gute Ende sorgt, es kann sein, dass die Variante weitere Untertypen generiert, vielleicht eine Version seiner selbst, die das Übel aller Varianten vereint. Dann wären alle Gedanken zu einem Rauskommen hin obsolet.

Wäre das Virus nicht, würde ich schreiben: Die Maßnahmen schaffen Schutz, schaffen das Absurde, schaffen die Wut und das Unverständnis, sind Ohnmacht und Handeln in einem und müssen, sobald es vertretbar ist, beendet werden. Doch was vertretbar sein könnte, muss jeden Tag neu ausgehandelt werden. Auch niemand mehr die Kraft dafür hat.

27. Januar | mitteldeutsche Momentaufnahme

Gerade ist der sächsische Erzgebirgskreis der Landkreis mit deutschlandweit der niedrigsten Inzidenz, 175 und damit 10x niedriger als beispielsweise Hamburg, jener Erzgebirgskreis, der in den vergangenen zwei Jahren mehrmals wegen hoher Zahlen und Ausschreitungen während Demonstrationen in den Schlagzeilen war, wegen der Gemeinschaft in Christo Jesu, der Lorenzianer, einer chiliastischen Sekte, die Masken als Gotteslästerung betrachten etc.

Überhaupt: Die Coronakarte ist schwarz und dunkelrotbraun eingefärbt. Nur in Mitteldeutschland zeigt sich eine zusammenhängende Fläche zartroter Töne. Dort liegen die Inzidenzen zum Teil deutlich über die Hälfte unter der gesamtdeutschen Inzidenz von heute 1017, jene Landstriche, die in den vergangenen zwei Jahren mehrmals wegen besonders hoher Zahlen und Ausschreitungen während Demonstrationen in den Schlagzeilen waren etc.

Was sind die Erklärungen dafür? Eine war, dass sich das Virus von Norden nach Süden ausbreitet. Eine andere, dass diesmal die Grenzbereiche zu Tschechien nicht so betroffen sind. Dass das Virus erst auf die Städte zugreift. Sind es die höhere Zahl der bisher Infizierten und deshalb Genesenen in Sachsen und Thüringen? Für jeden mögliche Erklärungsversuch gibt es Kartenbereiche, für die das auch gelten müsste, die aber dennoch dunkelrotbraun strahlen.

Und auch wenn sich diese Zahlen, diese Farben in den nächsten Tagen und Wochen, angleichen, vielleicht umkehren können, bleibt diese Momentaufnahme aus Mitteldeutschland, diese momentan sicherste Schutzburg vor Omikron.

Ansonsten: Die Zahl der täglichen Neuinfektionen übersteigt die 200.000-Grenze. Aus Protest gegen den sehr erfolgreichen Podcast von Joe Rogan, der Falschmeldungen über Corona verbreitet, lässt Neil Young alle seine Lieder von Spotify löschen. Laut Bundesinnenministerium haben am vergangenen Montag bundesweit rund 350.000 Menschen an Protesten gegen Maßnahmen sowie an Gegendemonstrationen teilgenommen. Laut einer Studie aus Israel sind Herzmuskelentzündung bei geimpften Jugendlichen sehr selten. In Deutschland wurden 42 Millionen mehr digitale Impfzertifikate ausgestellt als Corona-Impfdosen verabreicht wurden.

26. Januar | ein Mittwoch in der Pandemie

Heute Debatte im Bundestag über die Impfpflicht, etwas, das gefühlt ein halbes Jahr zu spät kommt; der Austausch von Argumenten im Parlament. Dänemark kündigt an, ab Dienstag alle Beschränkungen aufzuheben, weil Covid nicht länger mehr als eine Gefahr für die Gesellschaft eingeschätzt wird. Zugleich wird ein Höchststand an Krankenhauseinweisungen gemeldet, besonders betroffen: Kinder. Eine mögliche Erklärung ist eine neue Variante der Omikronmutante. Mehr als 9 Millionen Deutschen hatten oder haben sich infiziert, eine Million davon innerhalb der vergangenen sieben Tage. Über PCR-Test-Vergleiche.

25. Januar | dieses halbherzige Hochhalten von drögen Farben

Der Bundeskanzler stellt die Impfkampagne vor und hält dafür zweifarbige Texttafeln in Kameras .Bundesweit wird der Genesenenstatus auf drei Monate gekürzt, im Bundestag gilt eine Dauer von sechs Monaten. Die Verantwortlichen einigen sich darauf, dass der Zugang zu PCR-Tests beschränkt wird. Die Gesundheitsämter stellen weitestgehend die Kontaktverfolgung ein. Durch die Überlastung der Labore wird es keine der Wirklichkeit entsprechenden Zahlen geben. Der Bundeskanzler erklärt, dass noch unklar sei, wie sich die Pandemie weiter entwickeln werde und gibt als Parole aus: »Jetzt aber gilt erst mal: Kurs halten!«

Lauter Enttäuschungen; Versäumnisse, schlecht durchdachte Kommunikation, unverständliche Entscheidungen. Wer ist dafür verantwortlich zu machen? Die alte Regierung? Der abgewählte Teil der Regierung? Die Test-Taskforce Scheuer/Spahn? Der Teil der Regierung, der nun den Kanzler stellt? Die neue Regierung? Es bleibt das Bild eines Versagens, eines Aufgebens, einer maßlosen Überforderung. Ist es Ratlosigkeit, Lähmung, ein geschönter Blick auf die Umstände, ist es die Summe vieler bürokratischer Kleinigkeiten, ist es Überzeugung, vielleicht der Glaube, dass Omikron eine Chance ist, zwei ungewisse Monate und dann raus aus der Pandemie, das Schauen auf andere Länder und der Zahlen in den Krankenhäusern, irgendwann das unweigerliche Fallen der Inzidenzen?

In diesem Zusammenhang lese ich von »undokumentierter Durchseuchung«, eine zugespitzte, vielleicht wirklichkeitsnahe Beschreibung davon, dass viele Infektionen durch den Mangel an Tests nicht erfasst werden, dass das Virus »läuft«, ohne gesehen zu werden. Gerade passiert die Abkehr von zwei Jahren Coronaeindämmung; Schutzmaßnahmen werden für nichtig erklärt. Das geschieht vielleicht aus der Annahme heraus, dass die Mutante weniger gefährlich ist, auf jeden Fall aus einem Mangel heraus. Wenn nur 400.000 Test am Tag gemacht werden können, aber Bedarf für das Drei- oder Vierfache besteht, dann muss das Ungleichgewicht gehandhabt werden, trotz aller Hinweise, dass die Testkapazitäten viel höher liegen müssten. Das Ungleichgewicht ist ja dennoch vorhanden. Was nicht vermittelbar ist: Wenn die Schutzmaßnahmen ungerecht verteilt werden. Wenn ein Teil sie in Anspruch nehmen darf, der andere davon ausgeschlossen wird.

Und vielleicht erzählt die Präsentation der Impfkampagne alles dazu: dieses halbherzige Hochhalten von Werbetafeln in drögen Farben mit dem Hinweis auf eine überlastete Callcenternummer, ein uninspirierter Versuch, von dem niemand annehmen kann, dass er irgendetwas zum Besseren ändert. Doch man tut etwas, man hält etwas hoch und vor allem den Kurs. Man duckt sich weg damit.

Ansonsten: Die Auslastung der Labore liegt bei 95%, jeder dritte Test in der letzten Woche war positiv. Mehr als eine halbe Million Neuinfektionen in Frankreich. Biontech beginnt mit einer Studie zu einem Omikron-Impfstoff. Der Landkreis Bautzen werde die geplante Impfpflicht für das Gesundheitspersonal nicht umsetzen, erklärt der Vizelandrat auf einer Demonstration vor Maßnahmengegnerinnen. Die 7-Tages-Inzidenz steigt auf knapp 900.

24. Januar | lange nach der Pandemie

Die Pandemie wird ein Ende finden, in diesem Jahr vielleicht schon, offiziell eine Endemie werden, nie mehr Sars-CoV-2 als weltweite Bedrohung. Für viele wird die Pandemie nach dem Ende der Pandemie dennoch weitergehen, viele Jahre lang werden diese zwei Jahre das Leben bestimmen.

Daran denke ich, als ich ein Video sehe, einen recht manipulativen Zusammenschnitt. In einer Talkshow spricht eine amerikanische Journalistin, dass sie Tiger King gesehen habe und einmal Spotify durchgehört habe und nun fertig sei mit Corona, »I’m done with COVID«. Zwischen ihre Ausführungen sind kurze Interviewausschnitte von Ärztinnen geschnitten, in denen diese – sichtbar erschöpft, sichtbar am Ende ihrer Kräfte – vom Ringen um die Leben der Covid-Kranken sprechen.

Es geht mir nicht um eine Bewertung, nicht um dieses Nebeneinander der so unterschiedlich erlebten Realitäten der Pandemiejahre. Als ich das Video sah, wurde mir (noch einmal) bewusst, welchem Druck viele Menschen seit zwei Jahren ausgesetzt sind, was sie für Unfassbares erlebt haben, wie viel Leid sie erfahren haben, wie ohnmächtig sie sich gefühlt haben, wie viel Trauer entstanden ist in den vergangenen zwei Jahren.

Die Menschen im Gesundheitswesen, Schicht um Schicht um Schicht, die Masken schneiden sich rot in ihre Gesichter und dabei die Enttäuschung über die fehlende Wertschätzung durch die Politik, durch die Gesellschaft, die ansehen müssen, wie Querdenkerinnen vor die Krankenhäuser ziehen, die Ärztinnen angreifen, weil sie helfen.

Die Kinder und Jugendlichen in den Schulen, denen wir im ersten Jahr der Pandemie als Gesellschaft gesagt haben, ihr müsst Rücksicht nehmen auf die Älteren, ihr müsst Euch zurücknehmen und die sich zurücknahmen, und die, als die Gesellschaft hätte Rücksicht nehmen müssen auf sie, täglich erlebten und erleben, dass sich die Gesellschaft kein bisschen um sie schert, die monatelang keine Freunde sahen, die zwei Jahre einer Jugend verpassten, die in Angst waren um ihre Familie, die dennoch abliefern mussten im Präsenzunterricht, online, welche die schlecht kopierten PDF-Arbeitsblätter tapfer ausfüllten und dann am ersten Tag bei Inzidenz 65 drei Arbeiten am Tag schrieben und dazu mündlich geprüft wurden, als sei nichts geschehen, so etwas geht nicht spurlos vorbei, das gräbt sich tief ein, das bestimmt den Blick auf uns, die erwachsene Welt.

Jene, welche die Kontakte beschränkten, die sich einschlossen zuhause, die sich beschränkten in so vielem. Die in den Heimen, zu ihrer eigenen Sicherheit abgeschnitten von außen. Jene, die Freunde und Familie ans Querdenken verloren haben. Die sich selbst ans Querdenken verloren. All die Angehörigen, welche nun 117.000 Gräber pflegen

Unsere Gesellschaft ist in zwei Dingen schlecht: in der Prävention und der Nacharbeit. Doch die wird es brauchen. Die Folgen die Pandemie werden lange über den Tag hinausreichen, an dem eine Inzidenz von 0 gemessen wird. Es gibt so viel zu Bereden, so viel zu erinnern, so viel Wut und Ungesagtes, so viel Trauer, so viel Vergrabenes, so viel an Arbeit liegt vor allen, nicht nur Verzeihen. Vor dem Verzeihen muss erst einmal das Hinschauen und das Begreifen kommen, die Empathie und das Verständnis für all die verschiedenen Pandemierealitäten, die sich in Vielem gleichen und noch mehr unterscheiden.

Dafür wird es eine Sprache brauchen, es wird Trost brauchen, Geld wird es brauchen, Methoden und Heilerinnen, die sich damit auseinandersetzen, die helfen. Vor allem wird es von allen die Bereitschaft brauchen, sich auf die Geschichten, den Druck, die Verlassenheit einzulassen, hinzuhören, auch in drei Jahren noch, in fünf Jahren, in zehn Jahren. Die Pandemie wird zu Ende gehen, sie wird lange kein Ende finden.

Ansonsten: Berlin setzt die Präsenzpflicht an Schulen vorläufig aus. Ein Davor, ein Danach – Die Pandemie in Fernsehserien

23. Januar | hohl und verbraucht

Ein Thread darüber, welche Worte in der Pandemie hohl und verbraucht wurden. Eine Auswahl: Spaziergang. Freiheit. Eigenverantwortung. Systemrelevant. Hygienekonzept. Datenschutz. Instrumentenkasten. Auf Sicht fahren. Mild. Präsenzpflicht. Augenmaß. Vulnerabel. Keine Treiber. Vorerkrankt. Skeptisch. Grippe. Klatschen. Beherrschbar. Diktatur. Immunsystem. Selbst denken. Freie Betten. Brückenbau. Schweden. Totimpfstoff. Besonnen. Attest. Positiv. Montag. Konzentrierte Wachsamkeit. Lüftungsprotokoll. Spaltung. Ländersache.

Ansonsten: Der Städte- und Gemeindebund fordert eine Exitstrategie, um nach dem Höhepunkt der Omikronwelle die Einschränkungen aufzuheben. Der Handelsverband fordert ein Ende von 2G für den Einzelhandel. Bei der in Hongkong angeordneten Keulung von Hamstern wurde nur ein Nager positiv getestet. Irland hebt fast alle Einschränkungen aus. Impfgegnerinnen geben in mehreren Zeitschriften falsche Stellengesuche auf, in denen Ungeimpfte angeblich gekündigt wurden und die deshalb neue Arbeit suchen. Wegen des Auslaufens des Kurzarbeitergelds nach 24 Monaten wird im März eine Kündigungswelle in der Veranstaltungsbranche erwartet. Die Hälfte der Deutschen ist geboostert. Bund und Länder beschließen eine Beschränkung von PCR-Tests. Schwere Ausschreitungen bei einer großen Antimaßnahmendemostration in Brüssel.

22. Januar | Gurgeltest

21. Januar | ersehnte Durchseuchung

Zwei Narrative, die gerade erzählt werden. Die nicht so gefährliche Omikronmutante wird sehr viele anstecken, was notwendig ist, damit Corona endemisch werden kann, die einzige Möglichkeit, den Pandemiezustand zu verlassen. Und: Omikron ist alles andere als ungefährlich und man sollte eine Ansteckung vermeiden.

Zwei Aussagen, die sich widersprechen. Ansteckungen sind notwendig und Ansteckungen sollen vermieden werden. Was soll ich damit anfangen, wie mich verhalten?

Ich schaue auf die Kurven. Die Zahl der Todesfälle sinkt weiter, ist mittlerweile von den Inzidenzen entkoppelt. Die Zahlen sagen: Omikron richtet weniger Schaden an. Sagen das die Zahlen? Gehören diese Zahlen schon zu Omikron? Werden das auch die Zahlen sein, wenn sich der heutige Höchstwert von 140.000 verdoppelt haben wird? Werden das die Zahlen auch in fünf Jahren noch sagen? Ich weiß es nicht. Ich kann mir zusammenreimen, absolute Zahlen gegen das individuelle Risiko stellen.

Ich schaue auf die Maßnahmen. Wie immer ein einigermaßen wirkungsvoller Schutz vor Omikron aussehen könnte: Er wird nicht versucht. Die Zahl der Infektionen wächst, wird hingenommen, ist vielleicht gewollt, viele Ansteckungen jetzt bedeutet ein Ende der Pandemie bald. Wenn das Wort lautet, dass Omikron weniger Schaden anrichtet, können die Höchstwerte auch akzeptiert werden.

Für die einen ist diese offizielle Durchseuchung ein notwendiger und logischer Schritt raus aus der Pandemie, nach zwei Jahren Pandemie und einer weniger gefährlichen Mutante, die nur unter sehr massiven, schwer durchsetzbaren Einschränkungen einigermaßen zu kontrollieren wäre, das bestmögliche Ende. Für andere ist die Durchseuchung mit großer Furcht besetzt, mit Enttäuschung, das Aufgeben von Prinzipen, das Freilaufenlassen, letztlich die Abkehr von dem, was zwei Jahre versucht wurde, etwas, dem man, anders als bisher, hilflos ausgeliefert ist, besonders jene mit Kindern.

Letztens den Satz gelesen: Niemand steckt sich freiwillig mit Hepatitis an, nur, weil es behandelbar ist. Natürlich möchte ich mich nicht anstecken, kein Omikron, keine nächste Variante, nicht morgen, nicht in einem Jahr. Dennoch scheint unvermeintlich, dass mir eine Ansteckung geschehen wird. Doch je später, denke ich, desto besser. Ich setze weiter die Maske auf, minimiere Situationen mit möglichen Risikobegegnungen, zumindest diesen Winter noch, zumindest in der Omikronwelle, in welcher der Gesundheitsminister mit 400.000 täglichen Ansteckungen im Februar rechnet. Ich höre beide Erzählungen, ich will das Ende der Pandemie, ich will die Endemie und ich will nicht angesteckt sein. Es widerspricht sich, wie sollte es anders sein?

Ansonsten: Wegen eines Coronafalls an Bord muss ein australischer Hilfsgüterflug für die Südpazifikinsel Tonga, die nach einem Vulkanausbruch Unterstützung benötigt, abgebrochen werden. In Hongkong werden nach Infektionen tausende Hamster, Meerschweinchen und Kaninchen getötet. Meat Loaf, der sich gegen das Impfen ausgesprochen hatte, stirbt an einer Covid 19-Erkrankung. Schnelltests testen.

20. Januar | Berglandschaft

133.536, ein nächster Höchstwert. Ich schaue auf die Grafik der Neuinfektionen, der Graph beginnt am 12. März 2020 zu zählen. Die Kurve wie ein Gebirge, Erhebungen, Täler, Steilwände, Rundungen, Plateaus, fast zwei Jahre reicht dieser Höhenzug in die Zeit zurück. Die erste Welle nimmt sich in dieser Berglandschaft wie ein sanfter Hügel aus, eine unauffällige Ausbuchtung, eine sachte, fast unscheinbare Rundung, gefolgt von einer langgezogenen Ebene. In diesem Bild ist die erste Welle kaum der Rede wert, kaum vorstellbar, dass mit dieser zwergenhaften Ausstülpung eine veränderte Welt einhergegangen sein soll, die ersten Wochen der Pandemie, alles anders.

Ansonsten: Österreich führt die Impfpflicht für alle ab 18. Jahre ein. Österreich führt eine Impflotterie ein, bei der pro Impfung 500€ zu gewinnen sind, die als Gutscheine eingelöst werden können. Querdenkerinnen demonstrieren vor einem Hort in Linz und rufen den verängstigenden Kindern zu: »Eure Eltern töten euch mit der Impfung.« Die AfD-Fraktion reicht beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Coronaregeln im Bundestag ein. Im Hamburger Senat müssen nicht geimpfte oder getestete Abgeordnete Platz auf der sogenannten »Seuchenempore« nehmen.

19. Januar | sechsstellig

Heute im Kindergarten gewesen, beim Bäcker, eingekauft, per Mail korrespondiert, mit Freunden gesprochen, gelesen, geschrieben, gekocht etc. lauter übliche Dinge drinnen wie draußen, keine besonderen Vorkommnisse. Dagegen steht die Zahl, als andere als üblich, eine Zahl, die für viele keine üblichen Dinge zulässt, 112.323 Neuinfektionen an einem Tag, erstmals sechsstellig, eine, ich muss das so schreiben, erwartbare Entwicklung.

Eine andere Zahl, die mich ebenso beschäftigt: Wien baut die Testkapazitäten auf 800.000 Tests pro Tag aus und kann damit doppelt so viele Tests auswerten wie ganz Deutschland. Ich verstehe diese ungeheure Diskrepanz weiterhin nicht. Nur eine mögliche Erklärung finde ich: In Deutschland werden Pooltests (10 Tests auf einmal) als 1 Test gezählt, in Österreich fließt jeder Test in die Berechnung ein. Dennoch bleibt auch diese Zahl: In Deutschland werden 25 PCR-Tests pro Woche und 1.000 Einwohner gemacht, in Dänemark sind es 240, in Österreich 400.

Dazu passt die Nachricht, dass der Zugang zu PCR-Tests zukünftig stark eingeschränkt werden soll. Eine Priorisierung soll stattfinden, um der Überlastung der Labore entgegenzuwirken. Eine Notlösung, die so scheint, als gäbe es keinen Bedarf, die Zahlen ernsthaft erfassen zu wollen. Doch um die Gegenwart zu verstehen, muss sie auch vermessen werden. Geschieht das nicht, bleibt jegliches Handeln ein Ahnen und Tappen.

Oder braucht es die Zahlen bei Omikron gar nicht mehr? Keine Zahlen, keine Kontaktverfolgung, keine Quarantäne, weil sich laut einer Prognose jeder Zweite in den nächsten Wochen ohnehin anstecken wird? Welchen Nutzen haben dann noch Tests, außer die Newsticker mit neuen Höchstwerten zu versorgen? Ist es zynisch, so zu schreiben? Ist es die Beschreibung eines pragmatischen und realistischen Umgangs mit einer Extremsituation? Die Beschreibung einer Kapitulation?

Ansonsten: Die Zahlen auf den Intensivstationen sinken. Am amerikanischen Supreme Court weigert sich der konservative Richter Neil Gorsuch eine Maske zu tragen, um seine vorerkrankte Kollegin zu schützen. Fast 500.000 Neuinfektionen in Frankreich. Die US-Regierung verteilt kostenlos 400 Millionen Masken. Boris Johnson kündigte die Aufhebung aller geltenden Coronabeschränkungen in England an. In Amsterdam bieten Theater, Museen und Konzertsäle in ihren Räumlichkeiten Friseurdienste an, um gegen die Coronaschließungen zu protestieren. In Halle stürmt eine infizierte Querdenkerin in ein Pflegeheim und versucht, die dortigen Bewohnerinnen anzustecken.

18. Januar | an den Masten

Den ersten coronamaßnahmenkritischen Aufkleber an einem Laternenpfahl entdeckte ich im April 2020 auf dem UNESCO-Platz in Weimar. Handgeschrieben wurde auf eine Dokumentation im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen hingewiesen, Profiteure der Angst die sich kritisch mit der Schweinegrippe und der Pharmaindustrie auseinandersetzt. Der Zettel war versehen mit dem Zusatz: »Seht selbst, was jetzt passiert.«

Seitdem finde ich an Ampelmasten, Stromkästen, Papierkörben, Straßenlaternen, Litfaßsäulen, Geländerstangen immer wieder coronamaßnahmenkritische Aufkleber. Dort kleben sie neben rassistischen, antirassistischen, feministischen, queeren Aufklebern, Aufklebern von Fußballfans, der Klimabewegung, Einladungen zu halblegalen Tanzevents. Die Querdenker haben sich längst und ausdauernd in das kleine Bild der Stadt eingeklebt, seismographische Ausschläge der Gegenwart.

Handgeschrieben sind die Aufkleber längst nicht mehr. Es sind gedruckte Label, gestaltet und bestellt bei Onlinedruckereien, oft versehen mit Links zu Webseiten, Facebookgruppen, Telegramchannels, nicht wenige mit eigenem QR-Code. Erst sprachen sie sich gegen Masken aus, dann gegen Regeln, gegen Tests, besonders hartnäckig verklebt ein Querdenker seit vielen Monaten Verweise zum sogenannten Corona-Ausschuss. In den letzten Tagen haben ich mehrere Aufkleber gegen die Impfpflicht entdeckt; bei der Hundewiese neben der Ilm klebt einer, nahe des Stadtschlosses, neben dem besetzten Haus im Graben. Kinderaugen schauen mich traurig und vorwurfsvoll an, Mütter sorgen sich im öffentlichen Raum, Nino De Angelos Jenseits von Eden wird zitiert.

Gestern fand ein »Spaziergang« in Weimar statt, so, wie in vielen Städten. Der ehemalige ZDF-Moderator Peter Hahne ruft im österreichischen Servus-TV, dem Sender des RB-Konzerns und mittlerweile ein wichtiges Medium der Querdenkerinnen, auf, am Montag auf die Straße zu gehen (Es geht nur noch übers Volk, Jetzt helfen nur noch die Menschen auf der Straße). Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt erklärt offiziell als mittelfristiges Ziel die Abschaffung der ARD, die britische Regierung will die BBC als öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis 2027 abschaffen.

Die Menge und die Intensität der Antimaßnahmendemonstrationen am Montag nehmen von Woche zu Woche zu und vielleicht ist die Einschätzung im Eintrag von vor einigen Wochen, als ich die Demonstrantinnen gegen die Geimpften pro Tag setzte, Augenwischerei. Wenn Woche für Woche über 200.000 auf die Straße gehen – und das in ganz Deutschland – dann ist das etwas, was über die Pandemie hinaus Bedeutung hat und haben wird.

Oder wie letztens in einem Video ein Querdenker mit Ungeimpft-Plakette an der Jacke der Reporterin ins Mikro bellte: So hat es damals auch angefangen. Nein, das hat es nicht. Angefangen hat es in den 20er Jahren, als die Rechtsextremen auf die Straße gingen mit der Absicht, einen Regimewechsel herbeizuführen und andere sich dem angeschlossen haben, als nützliche Idioten der Demokratiefeinde. So hat es angefangen. Die gelben Sterne kamen später. Von denen, die marschiert sind.

Ansonsten: Eine mögliche Erklärung, warum Thüringen aktuell das Bundesland mit den niedrigsten Neuinfektionen ist (in kurz: Die Welle kommt diesmal nicht von Osten, sondern von Norden).

17. Januar | Rückblick mit Drosten

Ein Interview mit Christian Drosten. Darin klingt es, als wäre die Pandemie schon geschehen: Hätte man Corona verhindern können, Was waren die größten Fehler gewesen, Wie haben Wissenschaftler kommuniziert, Kann man zukünftig Pandemien vermeiden.

Ein Rückblick fast, zumindest ein Blick in die nähere Zukunft, in der es keine Coronapandemie mehr gibt. Die Bevölkerung baut Immunität auf, das Virus muss sich verbreiten, aber auf Basis eines in der breiten Bevölkerung verankerten Impfschutzes, irgendwann muss man da aber auch mal drauf springen, sonst kommt man nicht weiter. Und: »Wenn jemand im Moment meint, das Infektions- und Erkrankungsrisiko könne er ja wohl für sich selbst verantworten, dann muss man sagen: Nein, das geht nicht, weil noch so viele krank werden, dass das über die Betten-Konkurrenz auch andere Kranke betrifft. Weil Betten knapp sind, ist es eben nicht nur die Eigenverantwortung. Und da muss die Politik dann handeln und regulieren.«

Das Interview ist ein Gespräch über das Ende der Pandemie – mit Einschränkungen, Anmerkungen, Ambivalenzen – aber ein Ende der bisherigen Situation in Sichtweite. Das ist, was ich in diesen Tagen lesen will, Fragen und Antworten wie: Werden wir jemals wieder so leben wie vor der Pandemie? Ja, absolut. Da bin ich mir komplett sicher.

Ansonsten: Während sich das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre in der Pandemie verdoppelt hat, leben über 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut. Überlegungen der Gesundheitsminister, die Verfügbarkeit von PCR-Tests stark einschränken. In Leipzig wird unter einem Querdenkeraufkleber an einer Rutsche auf einem Spielplatz eine Rasierklinge entdeckt. Eine Frau erfindet elf Coronatestzentren und rechnet dafür fiktive Tests und Impfungen ab und verursacht damit einen Schaden von über einer Million Euro. Mit 223 Fällen meldet China den höchsten Stand an Neuinfektionen seit März 2020.

16. Januar | loslassen lernen

Ich kenne niemanden, der aktuell krank, infiziert oder in Quarantäne ist. In Weimar liegt die Inzidenz bei 250 und ist damit halb so hoch wie in ganz Deutschland. Der Kindergarten ist geöffnet, es gibt kaum Störungen. Das, was Omikron vielerorts war und ist, ist nicht hier. Die Wand ist in den Zahlen, aber nicht vor meiner Haustür.

Ich frage mich, woran das liegt. Wann die Welle Weimar erreicht. Ob. Ob zu wenig getestet wird, die Welle längst da ist, aber nicht zu spüren. Seit fast einem Monat das Warten darauf, mittlerweile ein Gewöhnen daran, dass die Situation täglich besser wird, obwohl die Warnungen vor schweren Wochen lauter werden. Eine seltsame Diskrepanz, wieder einmal.

Der Spiegel zeigt auf seinem Titelbild Karl Lauterbach als James Bond mit Spritze als Waffe, darunter getextet: Ein Quantum Angst. Und ich frage mich – gar nicht mal moralisch entrüstet, sondern ehrlich interessiert – wie nach zwei Jahren Pandemie ein solch missverständliches Cover möglich ist, ob es in zwei Jahren keine Lernkurve gab.

Thema des Leitartikels ist die Impfpflicht und wie sie »Land und Politik entzweit.« Über die Impfpflicht wird erst nach den Karnevalswochen entschieden, frühestens Mitte März, dann, wenn die Omikronwelle schon abgeklungen sein wird und die Frage ist: Wie lange wird es dauern, bis eine solche Impfpflicht umgesetzt wird und wie wird sie umgesetzt und hilft es, wenn die erhofften Reaktionen im Sommer geschehen?

Überhaupt frage ich mich, wie die Sache mit den Geimpften und Ungeimpften im Rückblick gesehen werden wird, der Ausschluss der Ungeimpften von Teilen des öffentlichen Lebens. Wird es in der Rückschau als angemessen gelten, als notwendig, wird man im Nachhinein die Gründe dafür nachvollziehen können? Oder wird sich ein anderes Verständnis durchsetzen, das von einer Unverhältnismäßigkeit? Ich bin mir nicht sicher.

Als Beispiel Novak Djokovic, der Tennisspieler, der nun endgültig aus Australien ausgewiesen ist. Ein gesunder, offensichtlich mehrfach Genesener darf nicht an einem Turnier teilnehmen. So erzählt, wäre es diese Unverhältnismäßigkeit. Erst die anderen Puzzlestücke – die ungültigen Anträge, das Verschweigen, die mutmaßlich gefälschten Daten und Zertifikate, der pathetische Zorn seiner Anhänger, seine Persönlichkeit, gepaart mit all den dubiosen und gefährlichen Verstrickungen – machen die Angelegenheit vollständig und bewertbar. Aber wird man diese Vollständigkeit im Rückblick noch sehen wollen oder können? Seine Unterstützer jedenfalls sind dazu nicht der Lage. Djokovic wird, wie alles in der Pandemie, als politisches Symbol vereinnahmt, auf den Querdenkerdemonstrationen erweisen die Redner ihm die Ehre und es macht schon Sinn, dass es sich dabei Djokovic handelt. Roger Federer als Held der Querdenker ist viel schwerer vorstellbar.

Und trotzdem wird es mir nach Omikron gleich sein, vielleicht ist es das schon, wie der Impfstatus einer Person ist. Natürlich werde ich stutzen und wahrscheinlich wird ungeimpft gegen Corona für lange Zeit ein Charakterzug bleiben, etwas, das mutmaßlich etwas Tiefgehendes aussagt als nicht geimpft. Aber es wird nichts Entscheidendes mehr sein. Und vielleicht gehört dieses Nicht-mehr-Triggern lassen auch zu einem Ende der Pandemie dazu, zu einem Loslassen, vielleicht geschieht das jetzt gerade.

Ansonsten: Die Teilnehmerzahl der Montagsdemonstrationen gegen Coronamaßnahmen hat sich in den vergangenen beiden Wochen um knapp 100.000 auf 270.000 bei 1300 Veranstaltungen erhöht. Drei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele wird in Peking der erste Omikronfall gemeldet. In einer Umfrage sprechen sich 60% der Befragten für eine Impfpflicht aus. Querdenkerinnen schicken Drohbriefe an Schulen und Kindergärten. Der Einzelhandel beklagt eine zunehmende Zahl von Angriffen bei der Kontrolle von Impfnachweisen. Im Laufe der Pandemie sind in Gesundheitsämtern 2000 neue Stellen geschaffen wurden. Die Landeselternkonferenz NRW suchte die »kälteste Schulklasse des Landes«, um dagegen zu protestieren, dass in vielen Schulen als Schutzmaßnahme lediglich regelmäßig gelüftet werden kann. Während Novak Djokovic aus Australien ausgewiesen wird, werden in Australien mit über 50° die höchsten jemals im Januar gemessenen Temperaturen festgestellt. Um gegen die Lockdownparties von Premier Boris Johnson zu protestieren, feiern mehrere Jugendliche mit Johnsonmaske.

14. Januar | zwei Aktionen

In Hagen setzt sich die 13jährige Yasmin allein auf den Schulhof der Heinrich-Heine-Realschule, um dort zu lernen. Sie ist vorerkrankt und will nicht mit ungeimpften Mitschülern und Lehrern zusammen in einen Raum sein. Drei Tage währt ihre Aktion. Dann wird das Jugendamt auf den Plan gerufen, bringt eine Inobhutnahme ins Spiel, am vierten Tag bekommt sie in der Schule einen eigenen Raum zugewiesen.

Nachdem in Dresden Querdenkerinnen einem »Spaziergang« vor dem Uniklinikum ankündigen, bilden Medizinstudentinnen einen schützenden Ring um das Gebäude. Kurz darauf kesseln Polizistinnen sie wegen des Verstoßes gegen die sächsische Coronaverordnung ein. Diese war letztens in Sachsen erst gelockert wurden, um mehr zivile Gegenproteste zu den Spaziergängen zu ermöglichen. Gegen die Studentinnen werden 22 Ordnungswidrigkeitsanzeigen verhängt.

Ich wünsche, dass sich der ersten Aktion viele anschließen, dass ab Montag auf allen Schulhöfen die Schülerinnen sitzen, zu viele, als dass jeder ein eigener Raum zur Verfügung gestellt werden kann, zu viele, als dass dieses Sitzen einfach übergangen werden kann. Ich wünsche, dass die Polizistinnen nicht kesseln, dass sie nicht das Bild bedienen – Querdenkerinnen können seit Wochen demonstrieren und dabei gegen alle möglichen Auflagen verstoßen, während bei jenen, die sich dagegenstellen, im besonderen Maße kontrolliert werden. Ein unverständliches Ungleichgewicht, vielleicht doch ganz gut erklärbar, symbolisch auf jedem Fall.

Ansonsten: Mehrere Bundesländer steigen aus dem Vertrag mit der Luca-App aus. Aus Protest darüber, dass ihre Empfehlungen nicht gehört werden, treten in Polen fast alle Corona-Regierungsberater zurück. In Großbritannien sinkt die Inzidenz den fünften Tag in Folge. Die deutschen Labore stoßen bei PCR-Tests an Kapazitätsgrenzen. In Wien wird die PCR-Testkapazität auf 800.000 Tests pro Tag erweitert. Die Stiko empfiehlt Boosterimpfungen ab zwölf Jahren. In Sachsen soll für Familien mit Kindern ein Impf-Clown zum Einsatz kommen. Das Visum des Tennisspielers Novak Djoković wird erneut annulliert, weshalb er nicht beim Turnier antreten kann. Da die Influencerin Christin Okpara mit gefälschtem Impfpass reiste, wird sie vom diesjährigen Dschungelcamp ausgeschlossen. Demoinzidenz.

12. Januar | Umkehrung

Über 80.000 Neuinfektionen, ein Höchstwert. Im Norden des Landes, dort, wo die Zahlen für gewöhnlich niedriger sind, sind nun die höchsten Zahlen. Die wenigsten Ansteckungen gibt es in Thüringen und Sachsen, dort sind die niedrigen Inzidenzen. Eine seltsame Umkehr der Werte. Doch was sagen die Zahlen? Ist es tatsächlich so? Wird nur im Norden häufiger getestet? Sind die Maßnahmen im Osten restriktiver? Arbeitet sich Omikron von Norden nach Osten vor? Wie werden die Zahlen in zwei Wochen aussehen?

Ansonsten: Der amerikanische Virologe Anthony Fauci rechnet damit, dass die Omikron-Variante die meisten Menschen treffen wird. Laut einer Studie verursacht Omikron in den USA nur halb so viele Klinikeinweisungen. Wegen Mangel an Tests fordert die mexikanische Regierung die Bevölkerung auf, bei Symptomen nicht zum Testen zu gehen. Aus Unmut über 3G dringt ein Mann in Weimar in das Landesverwaltungsamt ein und droht, mit Sturmgewehr wiederzukommen. In Bulgarien durchbrechen Impfgegnerinnen eine Polizeikette, um das Parlament zu stürmen. Wegen Omikron erhöht Niedersachsen die zulässige Arbeitszeit in kritischen Bereichen auf 60 Stunden in der Woche. In Berre-les-Alpes verstopfen in der Toilette heruntergespülte Schnelltests die Kläranlage. Bischoff Giacomo Cirulli untersagt ungeimpften Priestern das Austeilen der Kommunion.

11. Januar | gurgeln

Heute lese ich zwei Zahlen, von denen ich denke, dass sie nicht stimmen können. Die Stadt Wien kann täglich bis zu 500.000 PCR-Tests analysieren, in ganz Deutschland bestand in der ersten Kalenderwoche 2022 eine Testkapazität von 370.920 Tests. In Wien und Umland wohnen 2.5 Millionen Menschen, in Deutschland 83 Millionen und dennoch kann Wien 120.000 mehr Tests vornehmen.

Ich lese und stelle fest: Die Zahlen stimmen. Wien hat ein spezielles Gurgeltestsystem entwickelt. Jeden Tag können PCR-Gurgeltests kostenlos geholt werden. Zuhause wird gegurgelt, die Probe wird in Apotheke, Tankstelle und Boxen auf der Straße abgegeben. Im Labor findet ein sogenanntes Pooling stand; zehn Proben werden auf einmal getestet, ist ein positiver Befund darunter, wird in einem zweiten Test der Verursacher ermittelt.

Es sind technische Details, was aber bleibt: Wenn in Deutschland 370.000 Tests ausgewertet werden können und z.B. das kleinere Frankreich heute einen Wert von 368.000 hat, wie soll da auch nur annähernd eine einigermaßen der Wirklichkeit entsprechende Neuinfektionszahl in der Omikronwelle festgestellt werden können?

Ansonsten: Die WHO rechnet damit, dass sich in den zwei Monaten mehr als die Hälfte der europäischen Bevölkerung mit Omikron infiziert. Biontech beginnt mit der Produktion eines Impfstoffes gegen die Omikron-Mutante. Aus Angst vor einer Ansteckung, sperrt eine Mutter ihren Sohn in den Kofferraum ihres Autos, um ihn zum Coronatest zu bringen. Vermutungen, dass der positive PCR-Test des Tennisspielers Novak Djoković gefälscht sein könnte. Clemens Graf von Hoyos, Chef der Deutschen Knigge-Gesellschaft, rechnet fest mit der Rückkehr des Händeschüttelns nach der Pandemie. Mit 1,35 Millionen Neuinfektionen vermeldet die USA den bisherigen Höchstwert.

10. Januar | Deltakron

Eine gute Nachricht: Deltakron, eine Mutante, welche die gefährlichsten Eigenschaften der Delta- und Omikronvariante vereinen soll, ist höchstwahrscheinlich auf eine verunreinigte Laborprobe zurückzuführen. Dafür ist nun die Rede von »Flurona«, einer gleichzeitigen Infektion mit Corona und der Grippe. Beides klingt weiterhin wie bemühte Plottwists in der sechsten Staffel einer Serie über eine globale Seuche, die eigentlich nach der ersten Staffel hätte abgesetzt werden sollen, das, was die Corona-Pandemie eigentlich sein sollte.

Ansonsten: Auf richterliche Anordnung darf der Tennisspieler Novak Djoković das Quarantänehotel in Melbourne verlassen und in Australien bleiben. Kurz vor Beginn der Olympischen Winterspiele werden alle 15 Millionen Einwohnerinnen Tianjins getestet.

9. Januar | offene Burg

Im Kindergarten ging diese Woche die größte Gruppe in Quarantäne, die selbe Gruppe, die auch schon vor Weihnachten musste. Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung bei Omikron groß; Kinder viele Stunden zusammen in einem Raum, eng beieinander, keine Masken für die Kleinsten, natürlich. Bei allen Diskussionen über die Schulen stellt sich in den Kindergärten noch eine ganz andere Situation dar.

Und trotzdem, vielleicht gerade deswegen niemand im Freundes- und Bekanntenkreis, der seine U5-Kinder wegen Omikron aus dem Kindergarten nimmt, vorsorglich, bis zum Frühjahr, die nächsten Monate zuhause. Die Entscheidung oft nicht einfach, viele Gespräche, ein Abwägen, ein Belesen. Home Office mit Kind, drei Monate die Arbeit aufschieben, das ist kaum jemanden möglich. Nach zwei müden und ausgelaugten Jahren Pandemie der Punkt, an dem jeder insgeheim auf Glück für das eigene Kind hofft, das wahrscheinliche Glück davonzukommen, laut den Zahlen ist das möglich.

Im Kindergarten sorgt das aktuelle Magen-Darm-Virus für mehr Krankenhaus-Einweisungen als das Coronavirus. Ich weiß nicht, ob es idiotisch ist, das zu schreiben, anekdotisch auf jeden Fall, vielleicht naiv, auch zynisch, wenn ich lese, dass Kleinkinder bei Sars-CoV-2 nur durch die Nase atmen können, die Zahlen aus Großbritannien lese, lese, wie die finnische Ministerpräsidentin sagt, dass sie davon ausgeht, dass LongCovid die am weitesten verbreitete chronische Erkrankung – auch bei Kindern – werden könnte.

Auf diesen blöden und falschen Fatalismus stoße ich in den letzten Tagen oft, dieses Ergeben hin zu einer Ansteckung. Wie sollte es auch anders sein. Offenbar schützt die 1. 2. 3. Impfung kaum gegen eine Ansteckung durch Omikron. Es bleiben die bekannten, seit fast zwei Jahren einstudierten Schutzroutinen, nur dass auf jeden dieser Schutze noch einmal das Doppelte, besser das Dreifache draufgelegt werden muss.

Doch wie lange ich stehe mit jemanden im Sicherheitsabstand von 3 Metern zusammen? Und doch ist das alles so viel vernünftiger, als nichts zu tun, als die Maske jetzt unters Kinn zu ziehen und einmal den Rolltreppenlauf abzulecken, weil es am Ende die addierten Wahrscheinlichkeiten aller Situationen eines Tages sind, die den Ausschlag geben. Und doch genügt bei Omikron eine kleine Unachtsamkeit, ein kleines Nachlassen, die alles Absichern hinwegfegt.

Und so bekommt die Omikron-Ansteckung etwas Schicksalhaftes, etwas, das sich meiner Kontrolle entzieht. Das macht mutlos, auch daher der Fatalismus. Wenn ich mich nicht einschließe, bin ich letztlich schutzlos (Die weiterhin nötige Anmerkung: Schutzlos vor einer Ansteckung, geimpft mit großer Wahrscheinlichkeit geschützt vor einer schweren Erkrankung). Ich lese all die guten Vorschläge, wie man sich trotz Mutante vor der Mutante schützen kann und ich nicke und ich denke an den Kindergarten und weiß, jene, die Kinder dort haben, stehen auf dem Wehrgang einer Burg und nehmen seit fast zwei Jahren eine Verteidigungshaltung ein und die Mauern schützen bestmöglich, nur ein Tor steht immer sperrangelweit offen.

Dazu passen die beschlossenen Maßnahmen, die nicht wirklich bemüht sind, sich gegen Omikron zu stellen. Welche Maßnahmen das wären, kann ich auch nicht sagen. Von allem mehr, um in der Summe zu halten? So es wie von Anfang an war, die Erkenntnis, dass es nicht die eine Maßnahme gibt, die komplett schützt? Und so bleibt dieses ebenfalls blöde Gefühl, dass eine Durchseuchung, ein Begriff, der in den letzten Tagen wieder Hochkonjunktur hat, irgendwie gewünscht, erhofft ist, weil nur dadurch, scheint es, wäre ein Leben ohne permanente Burg möglich, auch wenn die Fachleute mir versichern, dass alles andere als sinnvoll sei, so simpel zu denken.

Ansonsten: In Italien tritt die Impfpflicht für über 50-Jährige in Kraft. Der Ärzteverband Marburger Bund warnt vor Überlastung der Normalstationen, weil der Großteil der Fälle dort behandelt werden. Ein Wissenschaftsteam aus Zypern erklärt, dass es eine Mutante entdeckt habe, in welcher Delta und Omikron miteinander kombiniert sind. Der Tennisspieler Novak Djokovic erklärt, dass er am 16. Dezember positiv auf Corona getestet wurde und deshalb als Genesener nach Australien einreise könne, zahlreiche Fotos zeigen ihn kurz nach dem 16.12. auf verschiedenen Veranstaltungen unter Menschen. Der österreichische Skiort Flachau meldet eine Inzidenz von 10.000. In Island sind 6% der Bevölkerung in Quarantäne. Sachsen lockert das Demonstrationsrecht, was Gegendemonstrationen gegen Spaziergänge erleichtert. Da wegen Karneval für Februar nur eine Sitzungswoche des Bundestags angesetzt ist, kann die Entscheidung über eine mögliche Impfpflicht frühestens Mitte März entschieden werden.

7. Januar | Testfragen

Beschlossen wird 2Gplus für Restaurants und Bars; von nun an brauchen auch doppelte Geimpfte und Genesene einen tagesaktuellen Test.

Ich lese über Schnelltests und dass diese Schwierigkeiten haben, Omikron zu erkennen, gerade bei Geimpften. Ich lese, wie oft fehlerhaft getestet wird, weil der Abstrich nicht tief genug, nicht an den virenlastigen Stellen in Nase oder Rachen durchgeführt wird. Lese, dass diese schmerzlosen und deshalb unzureichenden Abstriche auch in Testzentren vorgenommen werden, viele davon privatisiert, es gibt Geld für jeden durchgeführten Test, Testzentrenbesitzer, die in Konkurrenz stehen zu anderen Testzentren und die mit einem angenehmen Abstrich den Kunden zufriedenstellen und zur Wiederkehr bewegen wollen, ich kann das nicht verifizieren, vielleicht ist so, vielleicht sind das Einzelfälle.

Aber der Eindruck ist, dass bei Tests Fragen offenbleiben, auch die Frage, ob 2Gplus dann ein geeignetes Mittel ist für Omikron und das gemeinsame maskenlose Essen an Tischen. Eine Lösung habe ich nicht. Auf Tests verzichten? Eine Aufklärungskampagne für den aussagekräftigen Nasenabstrich? Alle gastronomischen Einrichtungen bis zum Ende der Omikronwelle schließen?

Ansonsten: Der Ärzteverband warnt vor Engpässen bei PCR-Tests, momentan liegt Kapazität für PCR-Tests bei 2,4 Millionen pro Woche. In den Philippinen werden Ungeimpfte, die gegen die Ausgangssperre verstoßen, verhaftet. In London hilft die Armee in den Krankenhäusern aus. Deutschland stuft jedes zweite Land weltweit als Corona-Hochrisikogebiet ein. Der Direktor der WHO warnt davor, Omikron als milde Variante zu bezeichnen. Srdjan Djokovic, Vater des in Australien in einem Quarantänehotel sitzenden Tennisspielers Novak Djokovic sagt: »Von diesem Moment an ist Novak zum Symbol und Führer der freien Welt geworden, der Welt der armen und benachteiligten Nationen und Völker.« und »Sie haben Jesus gekreuzigt, jetzt kreuzigen sie Novak.«

6. Januar | mild

Mild ist weniger hart und streng, ist gütig, gnädig, barmherzig, nachsichtig, freigiebig, über die Verpflichtung hinaus. Wann nutze ich mild als Wort? Das Wetter ist mild, milde Luft, ein milder Tag, der Käse schmeckt mild, lächelte sie milde, milde Gaben, mildes Herz, mildes Urteil, ich stimme dich milde. In einer älteren Sprache ist Milde die liebevolle Fürsorglichkeit eines Herrn für sein Gesinde.  

Ich lese, dass Omikron mild sei, eine gütige Mutante mit mildem Verlauf. Mild ist eine Kategorie der WHO wie uninfiziert, ambulant oder Tod. Ein milder Verlauf bedeutet alles (auch im Krankenhaus sein), was keine Sauerstofftherapie benötigt. Mild bedeutet, dass Herz, Lunge, Nieren geschädigt werden können. Mild in der Kategorie »Milde bis moderate Symptome« bedeutet: Fieber, trockener Husten, Abgeschlagenheit, Geruchs- und Geschmacksveränderungen, deutliches Krankheitsgefühl, Kopf- und Gliederschmerzen, Durchfall, Schnupfen. Ich lese Erfahrungsberichte von Omikroninfizierten mit mildem Verlauf. Mild ist so viel besser als kritisch oder schwerwiegend oder Tod, mild ist ein Wort, das mit verschiedenen Absichten verwendet wird und deshalb in der Pandemiegegenwart täuscht und falsche Versprechungen macht.

Ansonsten: Trotz Höchstwerten bei Infektionen werden in Israel und Portugal deutlich weniger Menschen in Krankenhäuser eingeliefert. Viel Interesse für Djokovic, der ungeimpft nicht nach Australien zu einem Tennisturnier einreisen darf. 64.000 gemeldete Neuinfektionen in Deutschland. Wenige Wochen vor den Olympischen Sommerspielen gehen mehrere chinesische Millionenstädte in den Lockdown. In einer Befragung sorgen sich über die Hälfte der Gastronomen und Hoteliers um die Existenz ihres Betriebs.

5. Januar | unruhiges Warten

Das neue Jahr ist angelaufen mit seinen üblichen Routinen und den erprobten und immer wieder geupdateten Pandemieroutinen dazu. Zugleich ein seltsam unruhiges Warten auf den Tag, an dem die »echten« Zahlen kommen. Dass Deutschland 10x weniger Neuinfektionen als das kleinere Frankreich hat, sogar weniger Infektionen als Griechenland, wie wahrscheinlich ist das? Wann werden die Zahlen die vermutete Realität abbilden?

Und was, wenn das nicht geschehen würde? Wenn die Neuninfektionen auf dem aktuellen Stand gedeckelt blieben, wenn sich Omikron nicht in den Zahlen zeigen würde, weil das deutsche Meldesystem nicht darauf ausgelegt scheint, hohe Zahlen zu erfassen, wie würde ich dann den Stand der Pandemie-Gegenwart messen können? Würden mir Berichte und Erzählungen reichen, wie könnte ich diese hochrechnen auf ein ganzes Land, auf eine ganze Lage?

Ansonsten: Der Straßenkarneval in Brasilien wird abgesagt, die Golden Globes finden ohne Zuschauerinnen statt. Durch vermehrtes Home Office sinkt die Zahl der Arbeitsunfälle um zwölf Prozent. Der französische Präsident sorgt für viel Wirbel mit seiner Aussage: »Les non-vaccinés, j’ai très envie de les emmerder« (Ich habe große Lust, den Nicht-Geimpften auf die Nerven zu gehen / auf den Senkel zu gehen / zu piesacken / anzukacken). Gesundheitsminister Lauterbach will den beabsichtigten Pflegebonus zahlen für Pflegekräfte, die in der Pandemie unter besonderer Belastung standen. Laut einer israelischen Studie ist kurz nach der vierten Impfung der derselbe Antikörperstand wie kurz nach der dritten Impfung vorhanden. Rasch steigende Zahlen in Indien, Israel und Australien, in London ist jeder zehnte infiziert.

4. Januar | kurze Quarantäne

In den USA werden eine Millionen Neuinfektionen an einem Tag gemeldet, eine Verdopplung innerhalb einer Woche. In Frankreich 270.000 Neuinfektionen, in Großbritannien 200.000, in Griechenland 50.000. In Deutschland 30.000. Das Bundesland mit der höchsten Inzidenz ist Bremen, das einzige Bundesland, das über die Weihnachtszeit das Personal in Gesundheitsämtern aufgestockt hat.

Zugleich mehren sich die Berichte, Kurven, Untersuchungen, dass die schweren Covid-Krankenfälle nicht synchron mit Omikron steigen, dass diese Welle anders ist als die bisherigen, dass die Zahlen der Neuinfektionen auch anders eingeordnet und verstanden werden müssen.

Trotzdem Omikron, trotzdem die Ansteckungen. Diskutiert wird eine Verkürzung der Quarantänezeit auf bis zu fünf Tage in bestimmten Fällen. Mein erster Impuls: Nicht unerwartet für eine optimierte Leistungsgesellschaft, dass es so schnell wie möglich wieder an den Arbeitsplatz gehen soll und das persönliche Wohlbefinden hinter der Produktivität zurückstehen muss. Beim Lesen darüber dann zweite Impulse. Weil irgendeine Lösung braucht es ja, wenn Viele gleichzeitig für einen längeren Zeitraum nicht ihre Arbeit ausführen können; Strom, Wasser, Nahrungsmittel, Feuerwehr, Krankenhaus. In den Texten versichern Expertinnen, dass eine grundsätzliche Verkürzung mit entsprechenden Tests schon vertretbar wäre, in Ausnahmefällen auch eine starke Verkürzung, um das gesellschaftliche Leben aufrecht zu halten.

Habe ich eine endgültige Meinung dazu? Ich glaube, heute noch nicht. Und frage mich, wie Ausnahmefall definiert werden wird und wie weit diese Ausnahmen gedeutet werden, wenn alles hier auf dem Stand von Bremen sein wird.

Ansonsten: Auf einem Coronaspaziergang in Lichtenstein bei Zwickau beißt ein Teilnehmer einen Polizisten. Mehrere Kreuzfahrtschiffe brechen ihre Reisen nach Coronafällen an Bord ab. Mehr als 150 Millionen Impfungen in Deutschland. Die in Frankreich entdeckte Mutante B.1.640.2 wird sich laut Expertinnen nicht gegen Omikron durchsetzen. Wegen starker Personalausfälle aufgrund Omikron rufen mehrere britische Kliniken den Katastrophenfall aus. Nach 9/11 und Hurrikan Katrina ist die Pandemie laut einer Studie der drittgrößte Versicherungsschaden der Geschichte.

3. Januar | Sucharit Bhakdi

Hans-Georg Maaßen empfiehlt ein Video von Sucharit Bhakdi als »bewegenden Appell […] zur dringenden Notwendigkeit eines Covid-Impfverbots«. Und ich weiß, ich sollte nicht schauen, unter keinen Umständen sollte ich schauen, weil, am Ende werde ich doch wieder eine Faktencheckseite klicken und was erwarte ich überhaupt für eine Erkenntnis.

Entgegen aller guten Vorsätze und der Erfahrung von fast zwei Jahren Pandemie und damit fast zwei Jahren Querdenkens schaue ich dennoch, so, wie wahrscheinlich viele an diesem Tag. Und sehe eine Gegenwelt, diese vollkommene Umkehrung von Ansichten, die ich teile, die mir täglich begegnen, es ist wirklich erstaunlich, weil Sucharit Bhakdi tatsächlich appelliert und tatsächlich voller Überzeugung spricht, voll von ernsthafter Sorge, dass »sie unsere Kinder an die Wand stellen«, dass »sie« die Kinder töten mit den Impfungen und es bewiesen ist durch eine sogenannte »Pathologie-Konferenz«, dass tausende, zehntausende, hunderttausende Menschen an Impfungen verstorben sind. Es ist diese Wahrheit, aus der seine Sorge rührt. Immer wieder wiederholt er fassungslos und erschüttert Zahlen, die ihm besonders großes Entsetzen bereiten.

Da ist Wut und Verzweiflung darüber, dass dieses Morden fortgesetzt wird, obwohl die Fakten so offensichtlich auf dem Tisch liegen, eine Menge Härte und Verachtung in seinen Worten. Es fällt schwer, sich seinen Emotionen zu entziehen, der Appell ist wirkungsvoll, wenn ich das Gesagte außen vor lasse. Das ist, was erschreckt: Er ist kein Scharlatan. Er glaubt, was er sagt. Er ist überzeugt von den Zahlen und deshalb überzeugt von seiner Sorge und daher überzeugt von seiner Wut. Da ist kein doppelter Boden. Deshalb ist er authentisch. Deshalb wird ihm im besonderen Maße geglaubt.

All das lese ich aus den zwei, drei Minuten Video heraus, die ich schaue, all das lese ich heraus und später den Faktencheck und denke, so eine Zeitverschwendung, so ein offensichtlicher, so ein gefährlicher, so ein wirkungsvoller Unsinn, soll das eine Erkenntnis sein, und später schreibe ich darüber einen Eintrag, auch wider besseres Wissen.

Ansonsten: Um für Impfungen zu werben, stellen Schäfer aus Schneverdingen mit ihren 700 Tieren eine rund hundert Meter lange Spritze nach. Zahlreiche Infektionen bei Sportlerinnen und Politikerinnen. In Spanien steigt die Inzidenz sprunghaft auf 2295, die in Deutschland leicht auf 232. Laut einer nichtrepräsentativen Umfrage der BILD vertraut die Mehrzahl der Deutschen nicht mehr den aktuellen Coronazahlen.

2. Januar | zwischen den Jahren

Keine Wand, die sich auftürmt, keine Infektion im Freundes- und Familienkreis, kaum, dass sich Corona in die Gespräche mischt – abgesehen vom Üblichen –, kein Dissens, kein Ausfechten von Standpunkten, kein Widerlegenwollen von Argumenten: ein kleiner Frieden zwischen den Jahren, solange ich den Blick nicht hebe. So ist der Vorsatz für 2022: Ende Februar nach zwei Jahren diesmal tatsächlich von den Einträgen lassen.

Ansonsten: Eine große Maßnahmen-Demonstration in Amsterdam. Auf einer Polarstation in der Antarktis infizieren sich 2/3 der geimpften Forscherinnen mit dem Virus. Nachdem sich vier geimpfte Fußballspieler von Bayern München infizieren, kocht die Diskussion um Joshua Kimmich wieder hoch. Ein Vorschlag, auf den zukünftigen Euro-Geldscheinen die Biontech-Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci abzubilden.


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