Ab dieser Stelle vorerst kein neuer Eintrag mehr, es fühlt sich momentan nicht richtig und wichtig an, an den Coronamonaten weiterzuschreiben.
26. Februar | Kulissenwechsel
Wenig überraschend schiebt sich das Querdenken nahtlos über den Putinkrieg. Das Muster, das bisher für die Pandemie galt, wird nun auf die Ukraine gestülpt. Die Kulisse ändert sich, die Bühne bleibt, diese Umkehr des Denkens. Nicht in einer guten, produktiven Weise, die einen zwingt, die eigene Position zu NATO, Militarisierung, Ostpolitik, Medien, Energiepolitik kritisch zu hinterfragen, sondern dumpf, bockig, wehleidig, offensichtlich manipuliert, maßlos. Auch klar: Sowie Putin seinen Krieg verloren haben wird, wird die nächste Kulisse aufgebaut werden.
Ansonsten: Ab heute beginnt in Deutschland die Impfung mit dem proteinbasierten Impfstoff Novavax.
25. Februar | schreiben könnte ich
Schreiben könnte ich, dass heute, am vorletzten Abend meiner Isolation, der Schnelltest weiterhin einen zweiten Strich anzeigt und ich nicht so recht weiß, was ich von dieser positiven Information halten soll, es erscheint irrelevant, jede Information über Corona scheint unwichtig, wie etwas von gestern, überholt, zu den Akten gelegt angesichts der weiterhin unwirklichen Nachrichten aus der Ukraine – Häuserkampf in Kiew, selbstgebastelte Molotowcocktails gegen russische Soldaten, rollende Panzer, Väter, die sich weinend von ihren Kindern verabschieden, um in den Kampf zu ziehen, 20000 Maschinengewehre, die Zivilisten überreicht werden, erhöhte Strahlungswerte im eroberten Tschernobyl, Metrostationen, in denen Menschen Zuflucht suchen, Raketensperrfeuer, Deutschland, das 5000 Helme Richtung Osten schickt.
24. Februar | die Zukunft, die graue

Heute vor zwei Jahren stand ich in einer Apotheke und kaufte Masken, weil ich die vage Befürchtung hatte, die Zukunft könnte diesen Kauf notwendig machen. Hätte ich damals geahnt, dass ich genau zwei Jahre später das Virus in mir trage und deshalb in Isolation bin, während eine Pandemie über sechs Millionen Opfer gefordert hat, hätte ich geahnt, dass genau zwei Jahre später Putin seine Soldaten die gesamte Ukraine angreifen und zerstören lässt, dann…
Es ist unwichtig, was ich dann gemacht hätte. Ich, diese Einträge sind es angesichts der Nachrichten. Dabei ist heute alles – trotz dessen, dass es die Welt betrifft – auch ich, weil die furchtbaren Ereignisse – ein Krieg – durch mich gehen und ich sie irgendwie verarbeiten muss, etwas, das schlicht unmöglich ist. Wie will ich die Information, dass ein Krieg beginnt, die unzähligen, unkontrollierbaren Informationen, die aus dieser Tatsache folgen, mit irgendwas in Einklang bringen? Soll ich fühlen, Worte wie »furchtbar« schreiben? Soll ich versuchen zu verstehen? Auf dem Laufenden bleiben? Es ist alles zugleich und zugleich ist es nichts, ist alles leer bei jedem Gedanken daran.
Vor zwei Jahren hätte ich niemals angenommen, dass so etwas wie eine Pandemie geschehen könnte. Noch weniger hätte ich angenommen, dass sie zwei Jahre meines Lebens, aller Leben bestimmt. Genauso wenig hätte ich angenommen, dass Putin Raketen auf Kiew schießt. Beides war unvorstellbar. Nein, nicht unvorstellbar. Immer gibt es Szenarien. Es gibt Szenarien von weltweiten Virenausbrüchen, gibt Szenarien von Kriegen. Das Schlimme ist vorstellbar. Es ist nur unvorstellbar, dass es Realität wird, Teil der nicht mehr gestaltbaren Zeit.
In der Pandemie ging und geht es unablässig darum, die nahe Zukunft zu kennen. Das war möglich und war es zugleich nur bedingt. Einher ging die Erkenntnis, dass trotz aller Prognosen, allem Wissen das Handeln eingeschränkt ist, das das Wissen um die Zeit nicht das bestmögliche Handeln garantiert. Nichts Neues unter dem Himmel, alle Zyniker finden sich bestätigt. Ich wollte niemals zynische Einträge schreiben.
Ja, eigentlich ist heute der Tag, an dem ich diese Coronamonate beenden wollte. Sollte. Zwei Jahre sind genug Worte dafür. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird. Schreibe ich bis Sonntag, bis ich die Isolation verlassen habe, ist das mein persönliches Ende der Pandemie, ein privater Schlusspunkt als universeller Schlusspunkt?
Vielleicht, vielleicht nicht. Jedenfalls das niederschmetternde Gefühl, dass die Pandemie weiterhin ist und sein wird und dennoch von jetzt an etwas Neues den Blick bestimmt, nicht ganz so nah, nicht ganz so komprimiert, noch undurchsichtiger, noch invasiver, ein Schnitt in der Zeit, unumkehrbar, etwas, das lange bleiben wird, das die nächsten Jahre, die 20er Jahre bestimmen wird, die Zukunft, die graue.
Ansonsten: welches Ansonsten?
23. Februar | ich bin die Gefahr

Nach vier Tagen wieder die Wohnung verlassen. Draußen allerorts Frühblüher, dazu ein Gefühl wie im März vor zwei Jahren. Ich schlage weite Bogen um Passanten. Doch diesmal nicht, weil sie mir gefährlich werden könnten. Für sie bin ich die Gefahr. Einmal die Frau mit dem Hund angeatmet, den kinderwagenschiebenden Vater mit Vorbeigehen mit meinen virenhaltigen Aerosolen gestreift, in Richtung der Familie gehustet. Ansonsten fühlt sich draußen an wie immer, wie sollte es auch anders sein. Im vertrauten Coronaabstrichstützpunkt läuft erneut Punkmusik, ein junges Team nimmt den Abstrich. Wenig überraschend erfolgt fünfzehn Minuten später die vermutete Bestätigung: weiterhin positiv, ein Befund, mit dem ich auskommen kann. Wirklich Dramatisches erwarte ich nicht mehr. Drei weitere volle Tage drinnen werden folgen, ab Sonntag darf ich dann sein, wo ich sein will. Das hat, erfahre ich, nicht unbedingt medizinische als vielmehr rechtliche Gründe. Länger als zehn Tage kann ich nicht in Isolation gehalten werden. Als Rückweg nicht der direkte Weg zurück, sondern ein abschweifender Schlenker über die Felder, ein bisschen von draußen mitnehmen für die verbleibende Coronazeit.
22. Februar | Kokon

Heute Mattigkeit, auch Niedergeschlagenheit, was weniger am Isolationskokon liegt. Putin lässt seine Soldaten in der Ukraine einmarschieren, konstruiert Gründe, weil er keine Demokratie in seiner Nähe ertragen kann, ein Anachronismus, wie eine vulgäre Tat aus einem anderen Jahrhundert, nichts für die Gegenwart. Und doch geschieht es.
Niedergeschlagenheit, weil der Krieg unabwendbar schien und scheint. Alle Puzzlestücke aus den letzten Monaten deuten auf dieses Ziel hin. Dennoch fällt es schwer, das Unvermeidliche auszusprechen, das Schlimmste anzunehmen, weil es unvorstellbar scheint, ein Krieg 2022. Doch führen die Ereignisse zu einer Art Zwangsläufigkeit des Geschehens, mit offenen Augen in die erwartete, gefürchtete Zukunft, eine Dynamik, wie sie aus der Pandemie bekannt ist, die prognostizierten Kurven, die Warnungen, später das Eintreten, trotz des Wissens, dass es so kommen wird. Livegetickerter Determinismus, das Wegrutschen der Gegenwart in Echtzeit, die eigene Ohnmacht alle fünf Sekunden aktualisiert.
Eine weitere Niedergeschlagenheit. Das Hoffnungsvolle der Pandemie – bei allen Fehlern, bei allen Auslassungen, bei allen Boshaftigkeiten – die Mehrheit hat versucht, sich zurückzunehmen, um damit die Schwachen zu schützen, letztlich ein Akt der Solidarität. Dagegen nun das Einbrechen der nächsten Krise, der nächsten Ausnahme, dem nächsten Extrem, diesmal das Scheitern der Hoffnung, dagegen die Panzer und Soldaten, die beschossenen Kraftwerke, ukrainische Mütter, die ihren Kindern Aufkleber auf die Kleidung kleben, auf denen die Blutgruppe angegeben ist. Das Schlimme hat sich durchgesetzt, Schlimmeres wird geschehen, das kommende Leid ist unabwendbar. Heute bin ich froh, im Kokon zu sein, nicht teilhaben zu müssen an dieser Welt.
Ansonsten: Nach der Omikron-Untervariante BA.1 breitet sich nun der infektiösere Subtyp BA.2_H78 aus und könnte im März auch in Deutschland die vorherrschende Mutante sind. Der Iran schickt 800.000 Impfdosen zurück nach Polen, weil diese ursprünglich aus den USA stammen. In England müssen sich Infizierte nicht mehr isolieren.
21. Februar | Licht und Luft
Die ersten Isolationstage, könnte man sagen, muteten an wie ein langes, ruhiges Wochenende. Spätestens am Montag, als das Surren der geschäftig die Straße entlangfließenden Automobile, das Wegbringen der Kinder am Morgen und das Eilen in den Park vom Fenster aus zu erkennen ist, wird klar, das ist Montag, eine neue Woche beginnt. Draußen eilt die Zeit weiter, während sie drinnen gefroren ist. Und irgendwie wäre ich schon gern Teil davon. Dafür soll zumindest Licht und Luft in das Geschlossene fließen, Vorhänge auf, Fenster ebenfalls, ein kurzes Rauslehnen in die Welt.
Freunden statten einen Isolationsbesuch ab, stellen Selbstgebackenes und einen Endzeit-Roman von Margaret Atwood vor die Tür, bieten beim Balkongespräch das Holen von Nahrungsmitteln an. Telefonate, private und berufliche, Updates, Genesungswünsche, der Schnupfen zieht in die Nebenhöhlen, die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Freitestens übermorgen sinkt mit jedem zerknüllten Papiertaschentuch, das Tagesprojekt mäandert, alles in allem in gemächliches Eintauchen in den Isolationsrhythmus. Ich sehe auf die heute veröffentlichte Coronainformationstafel der Stadtverwaltung Weimar, 182 Neuinfektionen am Wochenende, 1104 Fälle, ich bin eine Zahl davon, einer von 60 gerade in der Stadt.
Ansonsten: In Wellington bewerfen Impfgegnerinnen die Polizei mit Fäkalien. Die Bundesregierung beschließt, eine 10-Euro-Sammlermünze »Pflege« zu prägen.
20. Februar | Virus in mir

Schon erstaunlich, dass in der Woche, in der ich die Coronamonate mit dem 2. Jahrestag der ersten Eintragung beenden wollte, die Infektion geschieht, so, als es drängte das Virus unbedingt noch in die Aufzeichnungen hinein, als wolle es das Schreiben über den kommenden Donnerstag hinaus verlängern.
Was natürlich eine sich selbst überschätzende Annahme ist, weil das Virus nichts will, nichts kann, nicht mal Leben ist, nicht mal Nichtleben ist. Jedenfalls ist das eine, um das die letzten beiden Jahre kreisten, das, was ich vermeiden wollte, nun da. Das Virus in mir. Was klingt wie ein New-Metal-Song aus den späten 90ern ist eine seltsame Form des Wissens.
Ich weiß, dass in mir ständig Prozesse ablaufen, sonst gäbe es mich nicht. Ich weiß auch, dass ständig versucht wird, diese Prozesse zu stören und dass mein Körper Mechanismen entwickelt hat, gegen die Störungen anzugehen. Ständig ist in mir ein Ringen. Aber dieses Ringen, dieses Virus, von dem ich nach zwei Jahren mehr weiß – nicht im Sinne einer tiefergehenden Kenntnis von Zusammenhängen, aber immerhin weiß ich vom Spikeprotein und Virenlast und Omikronmutationen – als über die meisten anderen Fremdkörper in meinem Körper, ist bizzar.
Auch, weil es ein Wissen ist, aber kein Spüren. Ich weiß, Sars-CoV-2 ist gerade in meinem Körper, es breitet sich aus oder wird zurückgedrängt, es versucht anzudocken und einzudringen und zu stören, das Virus ist in meinem Blut, in meinen Zellen, ich atme das Virus aus. Aber ich spüre das Virus nicht. Das Virus ist unsichtbar, unfühlbar, und doch ist es da. Was ich fühle, sind die Reaktionen meines Körpers.
Die Reaktionen sind bisher mild, jedenfalls milder als nach den Impfungen, besonders im Vergleich zur zweiten Impfung. Die Symptome sind mild und ähnlich der Impfnachwirkungen; Kopfschmerzen, Mattigkeit, leichtes Husten, Kältegefühl, gerade in den Abendstunden. Ich horche in mich hinein, überprüfe mich, analysiere meinen Zustand mit meinem laienhaften Wissen. Ebenso laienhaft schlussfolgere ich: Das wars schon. Das Virus hat sein Pulver in mir verschossen. Beschwingt denke ich: Jetzt nur noch sieben Tage ausharren. Die Artikel über Long Covid, die Berichte über die Folgen, die Wochen und Monate nach der Infektion eintreten können, lese ich wohlweislich nicht.
Heute verspüre ich kein Verlangen nach draußen zu gehen. Drinnen ist okay. Auch, weil sich der nächste Sturm angekündigt hat, von Z wie Zeynep springt es auf A wie Antonia, das Orkanalphabet ist gerade aktiver das Mutantenalphabet.
Es ist auch okay, weil ich denke: Danach ist es wirklich vorbei, Maßnahmen lockern hin oder her. Danach werde ich »es« gehabt haben. »Es« hat es versucht, aber hat mir nichts getan. In diesen Momenten empfinde ich meinen gegenwärtigen Zustand als befreiend. Das Vermeiden war sinnvoll. Jetzt ist das Nichtvermeidbar geschehen. Jetzt ist die Pandemie eine private Auseinandersetzung mit mir, das Globale ist in das mir nächste geholt, in meinen Körper.
Meine Stimmung an diesem Sonntag ist, dass ich diese Auseinandersetzung gewinne, dass ich die Pandemie in mir selbst besiege. Ist das ein unzureichender Gedanke, auch dumm? Vermutlich. Das Virus ist in mir, zwei Jahre Informieren, Ausharren, Vorbereitungen finden gerade ihr Finale, unsichtbar für alle, auch mich.
Ansonsten: Die Queen ist infiziert. Weil das Kreisgesundheitsamt Gütersloh die Fleischwerke Tönnies als »Spezialfall« behandeln, können sich die Mitarbeiterinnen schon nach zwei Tagen aus der Quarantäne freitesten.
19. Februar | nach dem Coronaabstrichstützpunkt

Nach der Nacht mit Orkan Zeynep vormittags der Test im Coronaabstrichstützpunkt. Der liegt an den Gleisen, war lange auf dem Gelände eines Sportplatzes beheimatet, jetzt sind auf dem Parkplatz davor Container aufgestellt. Eine knappe Viertelstunde nach Ankunft die offizielle, wenig überraschende Bestätigung: positiv. Eine eher formale Ansage, das Aushändigen eines Papieres, weitere Anweisungen, was ich nun zu tun habe, bleiben aus, weil ohnehin klar ist, was folgt: häusliche Selbstisolation. Am Nachmittag meldet sich das Gesundheitsamt am Telefon, fragt dies und das nach, schickt schnell einen Termin für die Freitestung am Mittwoch. Sollte der Test dann weiterhin positiv sein, bleibt die volle Isolationszeit bis Samstag. Ich denke daran, dass vor einiger Zeit eine Frist von zwei Wochen galt und weiß, dass ich mich da schon glücklich schätzen kann.
Eine Lehre aus den bisherigen Lockdowns und Kinderquarantänen, um das Wohlbefinden zu erhalten: Sich Projekte suchen für die einzelnen Tage. Und, noch wichtiger: gutes Essen. Das sind die wichtigen Pläne. An diesem ersten offiziellen Tag fühle ich mich energetisch, fast schon motiviert. Ich lese in einige tagebuchähnliche Beschreibungen von Coronaisolationen hinein, weiß, dass ich nicht allzu sehr ins Detail gehen muss. Es sind die eigenen vier Wände, der Kühlschrank ist voll, natürlich wird es eng werden, aber es ist kein dramatisches Theaterstück. Es ist eine Woche in der Wohnung. Der Husten ist zurückgekehrt, das kann ich schreiben, meine Sorgen halten sich in Grenzen, das hoffe ich in einer Woche weiterhin schreiben zu können.
18. Februar | zwei Striche

Man hat das ja schon oft gemacht: die Testutensilien aus der Verpackung geschält, den Abstrichtupfer sachgemäß verwendet, im Probenahmeroh ausgedrückt, vier Tropfen auf das Probenloch der Testkassette gequetscht, zusehen, wie die Flüssigkeit langsam den Teststreifen entlangquillt. Und jedes Mal die Erwartung, dass sich ein Strich abzeichnet, bei C. Wenn nun ein zweiter Strich auftaucht – bei T –, ein ungläubiges Kopfschütteln. Es kann nicht sein. Eine andere Welt.
Nach 15 Minuten ist sicher: da sind zwei Striche, die bleiben auch und damit ein positives Testergebnis. Nicht bei mir (auf meinem Streifen zeichnet sich nur ein Strich ab), aber Omikron ist im Haushalt. Zuerst ein Wegschieben dieser Erkenntnis, alle paar Minuten erneut auf den Streifen schauen, so, als würde der zweite Strich wegsehen lassen. (Das Gegenteil geschieht: Nach zwei Stunden bildet sich in meiner Testkassette ein zweiter Strich.)
Jedenfalls: Positiv. Und tatsächlich Symptome seit diesem Tag, den Tag davor schon: mildes Fieber beim Kind, milder Schnupfen, milde Kopfschmerzen, milde Mattigkeit, alles mild, aber vorhanden. Jetzt heißt es irgendwie damit umgehen. Informieren, worin der Unterschied zwischen Quarantäne und häuslicher Selbstisolation besteht. Ob die Quarantäne für die geimpfte, negativ getestete Kontaktperson gilt? Was ist mit Kindern? Wo treibt man in Zeiten der großen Auslastung schnell einen PCR-Test auf?
Zumindest letzteres klärt sich schnell. Eine Mail ans Gesundheitsamt geschickt, kurz darauf ein Anruf, kurz darauf die Fahrt ins Testzentrum, kurz darauf ein PCR-Schnelltest, kurz darauf das offizielle Ergebnis: positiv. Damit verbunden die Informationen, dass die nun verordnete Isolation sieben Tage seit Symptombeginn gelten, ein Freitesten ist ab Dienstag möglich, wenn 48 Stunden zuvor keine Symptome auftraten.
Als nächstes ein Überlegen. Woher stammt die Ansteckung? Eine ruhige Woche, kaum längere Kontakte. Außer im Kindergarten. Ja, der Kindergarten ist der wahrscheinlichste Ort. Was wenig überraschend ist. Die wenigen Kontakte werden informiert. Dann beginnt das mentale Einstellen auf die nächsten Tage, die engen Räume, auf das Fernhalten der Welt.
Später mache ich einen zweiten Test. Diesmal zeichnet sich sehr schnell ein zweiter Strich ab, sehr dünn zwar, aber sichtbar. Ich recherchiere, ein wenig hoffnungsvoll noch, ob dieser dünne Strich vielleicht ein harmloses Artefakt sein könnte. Aber dünn = dick, ein positives Ergebnis muss angenommen werden. Ein Telefonat mit dem Gesundheitsamt später steht ein Termin für morgen Vormittag, ein Termin, der aller Wahrscheinlichkeit nach das positiv bestätigen wird. Unabhängig davon beginnt sie jetzt schon, die häusliche Selbstisolation.
Ansonsten: Nachdem der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis auf einer Pressekonferenz das Ende der meisten Coronamaßnahmen erklärte und [lachend] seine Maske abnahm, ist er nun infiziert. Der »Quarantäneaufschlag« bei Hotels auf Bali entpuppt sich als Touristenabzocke, Behörden sprechen von einer »Visa- und Quarantänemafia«. In sechs afrikanischen Ländern soll patentfreier mRNA-Impfstoff hergestellt werden. Gäste der Oscarverleihung Mitte März werden einen Impfnachweis sowie und zwei negative PCR-Tests vorlegen müssen.
17. Februar | Orkangleichnisse

Orkan Ylenia fegt über Deutschland, was Anlass ist für mehrere Gleichnisse; der Sturm nimmt dabei die Rolle Coronas ein. Die Sturmböen wehen mit 1-2 Knoten weniger als vorhergesagt, es wird Zeit, dass die Springer-Presse alternative Meteorologen zu Wort kommen lässt. Oder: Den Wind können wir nicht sehen. Gibt es ihn wirklich? Oder: Da ist ein Baum umgefallen. Aber er wurde nicht vom Sturm umgeweht sondern nur während des Sturms.
Und weil in einigen Bundesländern des Sturms wegen die Schulen geschlossen werden, um die Kinder zu schützen, weisen zahlreiche Gleichnisse auf den Widerspruch des Umgangs mit Schulen bei Sturm und bei Corona hin: Das ist diese Kultur der Angst. Kinder haben nunmal Risiken. Oder: Dieses Jahr ist noch kein einziges Kind wegen eines Sturmes gestorben. Zudem sind Wettervorhersagen manchmal unzuverlässig. Diese anlasslosesen Wetterprognosen und pauschalen Schulschließungen müssen sofort enden. Schulen sind aus Beton gebaut und damit sicher. Oder: Es fliegen nur Kinder weg, die schon vor dem Sturm zu leicht waren. Kinder haben schwere Schultornister und daher ein sehr geringes Risiko weg geweht zu werden. Die Schulen müssen offen bleiben.
Und so sehr die letzten Gleichnisse meine Sympathie haben und in der Sache richtig sind, gehen sie nur halb auf. Weil der Orkan eine Sache von ein, zwei Tagen ist, die Pandemie von zwei Jahren.
Ansonsten: Studie Wer geht zu den Coronademonstrationen?
16. Februar | Freedom Day

Heute Treffen der Entscheider, die Corona-Entscheidungen treffen. Nur widerstrebend, eigentlich nur für diesen Eintrag, lese ich hinein in die geplante Rücknahme der Maßnahmen, den zukünftigen Öffnungen. Nicht, weil diesen ablehnend gegenüberstehe, es ist eher ein persönliches, letztlich egoistisches Motiv: Ich habe nicht das Gefühl, dass sich dadurch mein Alltag erst einmal entscheidend ändern könnte; 2G, 3G, Privattreffen, Genesenenstatus, Obergrenze Privattreffen, Großveranstaltungen, Abstandsgebote, Impfnachweise, Hochrisikogebiet, Überbrückungshilfen, Homeofficepflicht.
Beschlossen wird ebenfalls: Ab dem 20. März entfallen alle »tiefergreifenden Schutzmaßnahmen«. Als Freedom Day wird dieser 20. März, ein Sonntag, betitelt, und dieses Framing stößt mich bei aller Freude über das Ende der Pandemie in vier Wochen bei näherer Betrachtung dann doch einigermaßen ab.
Ansonsten: Als österreichischer Freedom Day wird der 5. März beschlossen, ebenso wie das Aussetzen der eben erst eingeführten Impfpflicht in Aussicht gestellt. Pandemie der Gewalt.
15. Februar | OmikronPingPong im Kindergarten

Ein Gegenentwurf zu den Worten der letzten Einträge, von wegen geschafft und Aufbruchsstimmung. Im Kindergarten heute die Nachricht, dass auch in der verbliebenen Gruppe ein Fall »wahrscheinlich« sei, morgen komme die Information, ob die Gruppe für eine Woche geschlossen werde, morgen, wenn die anderen Gruppen sich freitesten können.
Ein nahtloses Anschließen der Verdachtsquarantänen, ein Ineinandergreifen der Ausfälle, ein Omikronpingpong, nun in der dritten Woche. Umdisponieren, organisieren, eigentlich bei Quarantäne kein Spielraum fürs Organisieren außer alles Geplante verwerfen. In den Elterngruppen volle Aufregung, die Kindergärtnerinnen am Limit, viel Kommunikation, viel zu viel Kommunikation, Entscheidungen treffen, zum Teil mehrmals am Tag Informationen, die neuer Entscheidungen bedürfen, das Abwägen zwischen Sorge und Alltag, auch die offensichtlichen Widersprüche: Wenn ich heute von dem Fall höre und morgen erst die Entscheidung kommt, wäre es nicht vernünftig, das Kind schon heute aus der Gruppe zu nehmen? Wenn das Geschwisterkind in Quarantäne ist, müsste das andere Kind nicht auch zuhause bleiben? Die Antworten auf diese Fragen sind eindeutig. Und doch handeln die meisten Eltern so, dass ein zusätzlicher Tag herausspringt. Weil zu viele Tage in den letzten beiden Jahren geschlossen waren.
Für die morgige Freitestung hat der Kindergarten eine Testung im Kindergarten organisiert; fast 50 Kinder von 8.00 – 11.40 Uhr im 5-Minuten-Takt testen. Anschließend könnte der Betrieb weitergehen, wenn nicht über die Hälfte der Betreuerinnen fehlen würde; krankheitsbedingt, in Quarantäne, Kinder in Quarantäne, Kur. Deshalb schreibt der Kindergarten, dass nur mit geringer Kinderzahl die Betreuung aufrechterhalten werden könne und appelliert an alle Eltern, nach Alternativen zu suchen. Und fügt, spieltheoretisch geschickt hinzu, dass der gesamte Ü3-Bereich schließen müsse, falls das nicht gelinge. In den Elterngruppen dann die, die von »frech« sprechen und sofort rufen, dass sie unter keinen Umständen eine Alternative finden können, des unnachgiebigen Arbeitgebers wegen. Und solche, die überlegen, was gehen könnte, die nachfragen, und schauen.
Und natürlich sind alle unter Druck und jeder hat zwei Jahre Pandemie hinter sich und Verständnis ist da für jedes Gefrustetsein und trotzdem schaut man hin, wer für sich ruft und wer nach anderen schaut und trotzdem denke ich, es liegt nicht an den Eltern, es liegt am ewigen PingPong, liegt an den Arbeitgebern, liegt an Kommunikation, daran, welcher Bedeutung diese Einrichtungen innerhalb der Pandemie zugewiesen wird. Und am Ende klappt alles irgendwie, Kinder werden im Kindergarten betreut und noch mehr zuhause, irgendwie findet sich ein Weg, zumeist durch Verzicht, aber das kann doch kein Zustand für länger sein.
Es ist nicht so, dass ich es nicht verstehen würde. Eine offensive Durchseuchung, wer will das schon. Und im Kindergarten – anders als in Schulen – spielen Masken oder Sitznachbarn keine Rolle. Die Enge des Miteinanderspielens macht eine Übertragung von allen zu allen in einer Gruppe wahrscheinlich. Die Quarantäne ist angemessen. Und zugleich nicht. Diese Verdachtsquarantänen, die sieben Tage andauern, sie zerren an allen möglichen Enden des Lebens, das man sich ja irgendwie zurechtgelegt hat. Zerren am Miteinander von Eltern, Kindern, Kindergarten, machen die Kindergärtnerinnen müde, die Eltern müde, die Kinder müde, alle verärgert, alle unter ständiger Anspannung, auch wütend, unklar, wogegen sich diese Wut richtet.
Das sind Fragen, die von außen gar nicht mal so bedeutsam scheinen, dann ist das eben ein paar Wochen so, haben wir alle hinter uns. Aber ein nagendes Gefühl von Ungerechtigkeit schwingt mit, hier die Verdachtsquarantänen, lauter Lockdowns, während draußen schon die Freedom Days verkündet werden.
Ansonsten: Beim Treffen mit Wladimir Putin lehnt Bundeskanzler Scholz einen durch russische Beamte durchgeführten PCR-Test statt, das Gespräch findet deshalb an einem sehr langen Tisch statt. Gegen die Truckerproteste wendet der kanadische Premier Notstandsbefugnisse an. Erstmals seit Jahresbeginn ist die Zahl der durchgeführten PCR-Tests rückläufig. Der Gesundheitsminister hält den Höhepunkt der Omikron-Welle für überschritten. Der Arbeitgeberpräsident fordert einen »Öffnungs-Booster«. Der Tennisspieler Novak Djoković erklärt, keine Grand-Slam-Turniere mehr spielen zu wollen, wenn er dafür geimpft sein muss. Um die Proteste gegen Coronamaßnahmen vor dem Parlament in Neuseeland zu zerstreuen, werden Lieder von James Blunt gespielt.
14. Februar | Angst X

Ein alter Mann hinkt die Schillerstraße entlang. Auf seinem Rollator hat er einen Kassettenrekorder platziert, darauf spielt er Heavy Metal der 1970er Jahre, so laut, dass die Gitarren vom Denkmal bis zum Markt zu hören sind. Gegen die Fassade des Hauses der Weimarer Republik gelehnt sitzen etwa zwanzig Studentinnen in der Sonne und knabbern an Süßkartoffelpommes von Fritz Mitte. Vor den Eiscafés Schlangen, auf den Wiesen im Park ausgebreitete Picknickdecken, die Temperatur leckt an kühlen zehn Grad. Der 14. Februar fühlt sich an wie Apriltag ohne Pandemie, Aufbruchstimmung, ein Abschütteln der letzten beiden Wellen. Nur im Kindergarten wird gebeten, trotz der Freitestung Mitte der Woche die Kinder bis Ende der Woche nach Möglichkeit zuhause zu lassen, weil die Mehrzahl der Erzieherinnen ausfällt.
Trotz des letzten Satzes eine wenig originelle Beobachtung: Corona hat seinen/ihren Schrecken verloren. Neun Einträge habe ich im Laufe von zwei Jahren über die Angst vor dem Virus verfasst. Der zehnte (und letzte Eintrag zur Angst) erzählt davon, wie durch die Impfung, mehr noch aufgrund der »milden« Mutante Omikron kollektiv die Angst geschwunden ist. Man steckt sich an, ist schlimmstenfalls etwas krank, dann geht es weiter. Corona ist Grippe geworden, das ist der Tenor der Tage. Wenn jemand, den ich kenne, sich infiziert – und das sind etliche in den letzten Wochen – dann bange ich nicht. Dann wünsche ich den kolportierten milden Verlauf und denke, neidisch insgeheim, dass genesen den Verzicht auf die lästige Quarantäne bedeutet.
Corona ist ein unvermeidliches Ereignis geworden, das nervt, aber keine Beklemmung auslöst, damit in Widerspruch steht zu dem, was lange Zeit die Vorstellung vom Virus geprägt hat. Der Paradigmenwechsel fand gleitend statt, die Gedanken haben sich unmerklich umgedreht, die Angst hat sich verwandelt in ein Schulterzucken. Ob es davon eine Rückkehr geben kann, sofern Mutanten entstehen, die weiter voranschreiten im griechischen Alphabet, Mutanten gegen den Impfstoff?
All diese Worte über die abgeschüttelte Angst, die bestenfalls noch leichte Sorge ist, trifft nicht zu auf jene, die seit zwei Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung kaum stattfanden; die Schattenfamilien, die mit dem Risiko, jene, bei denen der Impfstoff keine Antikörper hervorbringt, die mit den verschobenen Operationen, jene, die täglich arbeiten im Kontakt mit dem Virus. Die geschwundene Angst ist für die Mehrheit, die draußen auf den Straßen, in der Sonne, uns, die wir irritiert die Metalgitarren in der Schillerstraße hören.
Ansonsten: Blockaden mit Fahrzeugen und Fahrzeugkonvois aus Protest gegen Coronamaßnahmen in verschiedenen Ländern.
13. Februar | wie viele Leben wir uns leisten können

Wie viele Coronatote können wir uns leisten, ist eine diskutierte Frage dieser Tage. Es wird gerechnet, aktuell 174 Coronatote im 7-Tages-Mittel, Tendenz wieder leicht steigend, gerechnet, etwa 2700 Menschen sterben pro Tag in Deutschland, wie nehmen sich da die 144 160 168 174 Coronatoten aus, die Coronatoten werden gerechnet gegen die anderen Toten gerechnet gegen die Infektionszahlen gerechnet gegen die Maßnahmen, die Toten sind Argument dafür, dass Omikron mild ist, die Toten sind Argument für Lockerungen.
Die toten Kinder werden ebenfalls gerechnet. Als Entgegnung auf eine Feststellung, dass bisher in Deutschland 65 Kinder an Covid-19 starben, mehr als die Hälfte davon in letzten 4 Monaten, 17 tote Kinder in den letzten 4 Wochen, schreibt die christlich-demokratische Bildungsministerin Schleswig-Holsteins in einem vielbeachteten, mittlerweile gelöschten Tweet: »Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit COVID_19 und nur extrem selten wegen COVID_19.«
Es sind Rechnungen. Wie viele tote Kinder über welchen Zeitraum wären nicht mehr extrem selten? Wie viele tote Kinder wären nicht mehr tragisch, sondern würden ein anderes Handeln erfordern? 20 in 4 Wochen? 40? 100? Wie wären 100 an Covid 19 gestorbene Kinder zu bezeichnen? Welche Rolle spielen Vorerkrankungen bei der Erfassung der Zahlen? Sollten die vorerkrankten toten Kinder aus der Rechnung herausgenommen werden, weil Vorerkrankungen anders zählen und damit die Rechnung verfälschen? Wie viele Coronatote pro Tag würden welche Maßnahmen wie verschärfen lassen? Wie lockern lassen? Sollte bei 100 Toten die Maskenpflicht fallen? Ab welcher Todeszahl gilt die jeweils aktuelle Mutante als »mild«? Wie muss für diese Beurteilung die Infiziertenzahlen ins Verhältnis gesetzt werden? Wie nimmt sich die aktuelle Zahl 175 Coronatote zu den Extremwerten aus; 0 Coronatote im 7-Tages-Mittel am 13. Februar 2020, 896 Coronatote im 7-Tages-Mittel am 13. Januar 2021? Wie viele Coronatote bedeuten die Rückkehr zur Normalität? Wie viele Coronatote sind normal?
Die Gesellschaft rechnet. Die Toten sind ein Element von vielen in dieser Gesellschaft; die Toten im Straßenverkehr, die Grippetoten, die Toten durch multiresistente Keime. Die Coronatoten sind ein weiteres Element in der Gesellschaft. Wir rechnen sie. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie wir dabei auf ein Ergebnis kommen. Wie wir was gegeneinander abwägen, ausloten, überschlagen, erachten. Wie der Entscheidungsfindungsprozess verläuft; bei den Entscheidern, bei den Vermittlern, bei uns allen. Irgendwie müssen die Rechnungen ja ablaufen. Irgendwie bilden wir uns alle ja eine Meinung zu den Zahlen, leiten daraus eine Haltung zu mild, keine Gefahr für Kinder, Öffnungen, das normale Leben ab. Irgendwie kommen anhand der Zahlen Entscheidungen zustande, die von vielen getragen werden. Wie rechnen wir? Das ist keine Frage, die in diesem Eintrag nur moralisch gemeint ist, sondern: Wie funktioniert das in diesem konkreten Fall? Wie leisten wir uns die Leben, leisten uns die Toten, leisten uns die toten Kinder?
Ansonsten: Alexander Gauland kann wegen eines nicht anerkannten Tests nicht an der Wahl des Bundespräsidenten teilnehmen. Wie im Jahr zuvor zahlt NRW seinen Karnevalsvereinen 50 Millionen Euro Coronahilfen. Nur noch wenige Coronafälle bei den Olympischen Spielen.
12. Februar | Ukraine
Kann es sein, dass die Diskussion über den prognostizierten Angriff Russlands auf die Ukraine gleichzieht mit den Diskussionen über Coronamaßnahmen, was Intensität der Diskussion angeht, auch der Absolutheit der Meinungen? Jedenfalls erhält die Krise in Osteuropa einen eigenen Newsticker, so, wie es ihn für die Pandemie seit zwei Jahren gibt.
11. Februar | innere Endemie

Ich lese den Begriff »innere Endemie«. Das beschreibt den Zustand, sich so zu verhalten, als wäre die Pandemie vorbei und die Maßnahmen deshalb minimalkonform einhält.
Diese innere Endemie, so scheint mir, ist der Zustand dieser Tage. Jene, die sich zwei Jahre mehr und minder den Regeln entsprechend verhielten, entscheiden nun, dass die Bedrohungslage nicht mehr wie bisher gegeben ist. Bei den allermeisten Geimpften ist die Wahrscheinlichkeit des Allerschlimmsten gering. Das Risiko wird gegen den Überdruss des pandemischen Verzichts gestellt. Der Überdruss gewinnt, er soll enden.
Die Haltung: Wer geimpft ist, ist in keiner großen Gefahr. Wer ungeimpft ist, begibt sich eigenverantwortlich in Gefahr, Rücksicht muss darauf nicht genommen werden. Also wird umarmt, die Maske abgelegt, sich getroffen. Die Infektionszahlen, welche Extremwerte sollen sie noch annehmen, damit ich sie überhaupt noch wahrnehme. Die anderen Zahlen bleiben beruhigend flach, zumindest bis gestern.
Mit der inneren Endemie kehrt der Alltag zurück, das Ausgehen, das Besondere. Die Entscheidung dazu treffen viele vielleicht gerade, oder sind im Begriff, das zu tun, entgegen der aktuellen Maßnahmen. Die Regeln stehen der inneren Endemie entgegen, sie wirken umständlich, nicht mehr der Zeit gerecht, hecheln der Gegenwart zwei Monate hinterher. Eine kollektive Abstimmung über den Umgang mit Corona findet statt, der Blick geht in die anderen Länder, wo innen mittlerweile außen ist.
Befinde ich mich in diesem Zustand? Bin ich längst in dieser inneren Endemie angelangt? Nein, ja, schon, sicher, manchmal. Ich würde es gern sein, ich bin es. Heute kam die PCR-Bestätigung des positiven Falls im Kindergarten, die Quarantäne für die nächste Woche damit festgezurrt. So ganz fehlerfrei funktioniert die innere Endemie dann doch nicht, solange außen die Pandemie noch tobt.
Ansonsten: Als Begriff dafür, dass die Omikronwelle in wenigen Tagen ihren Höhepunkt überschreiten werde, wird »scheiteln« verwendet, Omikron scheitelt. Long Covid ist aktuell die Hauptursache für die langfristige Abwesenheit vom Arbeitsplatz in UK. 12 Millionen Infizierte in Deutschland, die 12. Million wurde innerhalb von 5 Tagen erreicht. Angesichts der hohen Infektionszahlen erwägt NRW das Einstellen des Zählens der Infektionszahlen. Für die kommende Spargelernte setzen die Spargelbauern auf die Arbeitsquarantäne; die Arbeiter dürfen die Unterkunft nicht verlassen, aber arbeiten. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt die Impfpflicht im Gesundheitswesen. Frankreich und Italien locken die Maskenpflicht. Um den korrekten Sitz von Masken zu gewährleisten, verbietet die Universitätsmedizin Greifswald das Tragen von Vollbärten. »Aus der Vergangenheit wüsste ich nicht, dass sich das Landeskriminalamt mit der Sicherheit des Ethikrates hätte beschäftigen müssen.«
10. Februar | wäre gewesen
Es wäre ein anderer Eintrag gewesen, heute, wenn nicht am Abend die Nachricht aus dem Kindergarten gekommen wäre; mehrere positive Fälle, zum Teil bestätigt, zum Teil mit »großer Wahrscheinlichkeit«, positive Geschwisterkinder etc. Jedenfalls Quarantäne bis nächsten Freitag, Möglichkeit zum Freitesten im Laufe der nächsten Woche. So wären die Tage gewesen, nun sind sie anders. In Weimar bewegt sich die Inzidenz auf die 1000 zu, bei den Ansteckungsursachen werden größtenteils Schulen und Kindergärten genannt, was auch sonst.
9. Februar | die Pflicht

Nachdem Bayern die Impfpflicht für den Pflegebereich aussetzt, zieht Sachsen nach. Damit ist die eingeschränkte und vermutlich ebenfalls die allgemeine Impfpflicht passé. Und auch wenn ich weiß, von welcher Bedeutung die Impfung ist und die sogenannte »Impflücke« nicht klein genug sein kann, schreibe ich, dass alles seine Zeit hat, auch die Impfpflicht, und sich dieses Fenster gerade schließt, längst geschlossen ist.
Passenderweise hätte die Impfpflicht im letzten Sommer entschieden werden müssen, so, dass sie gegen Ende 2021 umgesetzt worden wäre, heute so gut wie alle geimpft sein müssen. Doch letzten Sommer glaubten wir, zwei Impfungen wären die Impfung und die Impflücke würde sich schon irgendwie schließen und Bundestagswahlkampf war und Omikron ein Buchstabe im griechischen Alphabet. Wäre da Platz gewesen für einen solchen Beschluss.
Durch Omikron haben sich die so lange gültigen Argumente für eine Pflicht verschoben und aufgehoben; die Impfung schützt nicht mehr sich und andere deutlich vor einer Infektion, die Überlastung des Gesundheitswesens findet nicht in dem Maße statt wie befürchtet, ich setze immer noch ein bisher zwischen findet und nicht. Was nicht bedeutet, dass die Impfung aller nicht notwendig und verantwortungsvoll und vernünftig und solidarisch ist.
Aber die Diskussion muss anders geführt werden als vor zwei Monaten und das betrifft auch das Gespräch über die Pflicht. Neben der konkreten Umsetzung steht die Frage, ob eine Pflicht gesellschaftlich zu erklären wäre in Zeiten der vergleichsweise niedrigen Zahlen, mit Blick auf das, was eine Impfung bei Omikron nicht zu leisten vermag. Ob die durch eine Durchsetzung der Pflicht entstehenden gesellschaftlichen Verwerfungen den Nutzen aufwiegen würden.
Und ich hasse es, diesen letzten Satz zu schreiben, weil er feige ist, eine Relativierung ist, ein gefühltes Zurück- und Aufweichen, ein unpassendes Gleichsetzen, als ob es von Bedeutung ist, ob die Montagsfackelträgerinnen gepleast werden, weil das wollen sie ja ohnehin nicht. Aber bei aller Sinnhaftigkeit und bei allem gesellschaftlichen Gewinn durch eine Impfung aller – das Fenster für die Pflicht scheint geschlossen.
Und vielleicht sieht es in einigen Wochen, Monaten, im nächsten Herbst wieder anders aus, die Mutante mit dem nächsten Buchstaben, deren Übertragung durch die 3-fach-Impfung zuverlässig verhindert wird, eine Mutante, die besonders bei Ungeimpften wütet, dann, wenn man sich wünschte, dass man damals in der Karnevalszeit 2022 die Pflicht durchgesetzt hätte.
Ansonsten: Zum dritten Mal fällt die Leipziger Buchmesse wegen Corona aus. Die kanadischen Truckerfahrer, die gegen die Maßnahmen protestieren, blockieren eine Brücke zu Amerika. In mehreren Ländern wird zu ähnlichen Protesten aufgerufen; in Frankreich zu sogenannten »Freiheitskonvois«, in Wien soll mit einem »Autokorso« mehrere Tage lang der Stadtring lahmgelegt werden. New York hebt die Maskenpflicht in den meisten geschlossenen Räumen auf. Über 3000 Coronatote in den USA.
8. Februar | Urlaub

Im Freundes- und Bekanntenkreis momentan eine auffällige Häufung von gerade absolvierten, gebuchten und geplanten Urlaubsreisen, auch weit weg. Und klar, ich kanns verstehen, ich will ja auch weg, sehr weit weg. Und klar, es scheint immer noch seltsam, inmitten einer globalen Krise am Strand liegen zu wollen und natürlich kann man während einer Pandemie an keinem Ort der Welt der Pandemie entfliehen, das liegt in der Natur der Sache. Aber es gibt eben die Orte, wo die Pandemie gerade weniger ist als hier und um ehrlich zu sein, fühlt sich die Pandemie auch hier nicht auf die gleiche Weise an wie eine Pandemie beispielsweise im Dezember 2020.
Das sollte der Rest von 2022 sein: Woanders hin, als man zwei Jahre lang war, andere Himmel, andere Wege, andere Blicke, den verschwundenen Horizont zurückgewinnen.
7. Februar | gerade ertragen

Ertrage die Diskussionen über die Lockerungen nicht, ertrage die Vergleiche mit Dänemark nicht, ertrage nicht die Vorstellung, in den nächsten Tagen womöglich in Quarantäne zu müssen, nicht den Gedanken, dass ich mich infiziere oder meine Kinder. Ertrage nicht den Hashtag DerTestMussWeg. Ertrage den Gedanken nicht, dass es so bis Ostern weitergehen sollte. Ertrage es nicht, wenn Politiker süffisant fordern, den nächsten Schritt zu gehen. Ertrage es nicht, wenn ich stehenbleibe. Ertrage die Situation an Schulen nicht. Nicht in Kindergärten und wie das hingenommen wird. Ertrage nicht die Forderung danach, zurück zu einem »normalen Leben« zu kommen, was ist normal, war es das jemals. Ertrage nicht das Frohlocken jener, die immer gegen jede Maßnahme waren und nun das Zurücknehmen der Maßnahmen als Beweis für die Wahrhaftigkeit ihres Verhaltens sehen. Ertrage nicht die Strukturen, die einfach weiter machen wie bisher, weil so eben die Strukturen sind. Ertrage nicht das Besserwissen, wie man früher alles hätte anders machen müssen. Ertrage es nicht, Ambivalenzen zu diskutieren; Bayern erklärt, die Impfpflicht für den Pflegebereich nicht umzusetzen und erklärt damit das gleiche, was der Landrat in Bautzen vor zwei Wochen vor Querdenkerinnen erklärte; was unterscheidet beide Absichtserklärungen, das wäre Aufgabe dieses Eintrags zu fragen, ich ertrage es nicht. Ganz grundsätzlich ertrage ich keine Gedanken über die Pandemie mehr, nicht diese Coronamonate ertrage ich gerade.
Ansonsten: Beim Eishockey-Vorrundenspiel Kanada gegen Russland in Peking tragen wegen mehrerer Coronafälle in der russischen Mannschaft die Spielerinnen während des Spiels Masken unter den Helmen. Israel streicht Pflicht zum Grünen Pass, den Nachweis für Geimpfte und Genesene, weitgehend. Bei der Einreise nach Griechenland und Portugal müssen Geimpfte keinen Test mehr vorzeigen. Laut eines Familiengerichts in Niedersachsen liegt die Entscheidung über die Impfung der eigenen Kinder bei dem Elternteil, das den Vorgaben der STIKO folgt. Aufgrund der anhaltenden Demonstrationen gegen die Maßnahmen durch Truckfahrer erklärt der Bürgermeister von Ottawa den Notstand aus. Seit Jahresbeginn wurde jedes zehnte Kind zwischen 5-14 Jahre infiziert.
6. Februar | Freiheit

Das Thema der morgigen Ausgabe von Hart aber fair lautet: »Wann kommt die Zeit, von Corona loszulassen?« und mich schaudert ein wenig bei dem möglichen Gesprächsverlauf, dem Auftrumpfen und vehementen Einfordern, dem Fallenlassen und Zurücknehmen und Vergessen. Dabei ist dieser Talk notwendig, gerade für Menschen wie mich eine der großen Aufgaben der nächsten Zeit: Wie lasse ich von Corona locker.
Marius Müller-Westernhagen stellt auf Instagram ein Foto ein, das ihn während des Impfens zeigt. Dazu schreibt er ein Wort: Freiheit. Foto und besonders Wort erfahren große Aufmerksamkeit. Es ist auch interessant. Westernhagen hält mit seiner Liveversion von Freiheit so etwas wie die emotionale Deutungshoheit über den Begriff inne. Das Lied wird auf den Querdenken-Demonstrationen gespielt, dort, wo Frieden, Freiheit, keine Diktatur erschallt.
Indem er sich nun positioniert, viel mehr noch, indem er das Wort Freiheit in einem anderen Zusammenhang stellt, deutet er es um. Er sagt: Freiheit bedeutet nicht, keine Maske zu tragen. Freiheit ist nicht, das eigene Befinden über alles andere zu stellen. Freiheit entsteht erst dadurch, indem man Verantwortung übernimmt, eine Entscheidung trifft für sich und andere. Erst wenn sehr viele diese Verpflichtung erfüllen, kann es Freiheit geben. Freiheit bedeutet bei ihm in diesem Fall nicht, frei von Staat und der Gesellschaft zu sein, sondern frei vom Virus.
Ansonsten: Laut Bundeskanzler ist Deutschland gegenwärtig gerade das erfolgreichste Land in Europa in der Frage des Umgangs mit der Pandemie. Jeder vierte deutsche Betrieb bewertet seine aktuellen Personalausfälle als »erheblich«. In Österreich tritt die Impfpflicht in Kraft. Mehr als 900.000 Coronatote in den USA.
4. Februar | ants from up there

Ich höre Ants From Up There, das neue Album von Black Country, New Road. Der Platte liegt ein Booklet bei. Darin stehen die Lyrics, daneben jeweils ein schwarzweißes Foto, das während der Aufnahmezeit entstanden ist, Sommer 2021. Neben dem Bread Song ein Bild, zwei Bandmitglieder auf der Isle of Wight. Sie blicken in die Kamera, heben ihre Hände, unter ihrem Kinn jeweils eine heruntergezogene OP-Maske.
Ich schaue auf dieses Detail, es beschäftigt mich, es wirft mich um. Eine Art Melancholie erfasst mich. Die Fotos zeigen eine nahe Gegenwart, die Musik erzählt davon und von Erinnerungen. Eine Erinnerung an gerade eben; die Maske, heruntergezogen, war Teil dieser Gegenwart, beiläufiges Accessoires, leichthin und zufällig wie eine in die Haare geschobene Sonnenbrille, eine über die Schulter getragene Gürteltasche, Armbanduhr, Schnurrbart, ein geflochtener Zopf, die Zigarettenschachtel in der Hosentasche, ein zu großer Ohrring, Baseballcap, ein angeschnittener Kuchen, ein erhobenes Weinglas, ein Strauß Blumen, der Blick in den Augen, den du nur mit den Menschen teilst, von denen du weißt, dass sie der Grund sind, dass du dich immer an diesen einen Sommer erinnern wirst. Dazwischen diese unter das Kinn gezogenen Masken, die Gegenwart, die Erinnerung, immer dieser Sommer, immer diese zwei Jahre, gekrallt von den Fotos, die der Zeit den Moment abtrotzen und einschreiben, auf immer unter das Kinn gezogen, diese Zeit, das ist die Melancholie, die Gegenwart, die gerade nicht vergehen will und für immer Erinnerung sein will, Ants From Up There
3. Februar | freitesten

Der Kindergarten hat morgendliche Tests für alle Kinder jener Gruppen organisiert, in denen letzte Woche ein positiver Fall auftrat. Wer heute erfolgreich freigetestet wird, kann heute schon die Quarantäne verlassen und wieder den Kindergarten besuchen.
So erscheinen ab 8.30 Uhr in leicht zeitlich versetzter Folge Eltern mit ihren Kleinkindern im Weimarer Testzentrum am Mark, das offiziell erst zehn Uhr öffnet. Im Informationsschreiben ist der Test als nasaler Test angekündigt. Wie sich das wohl durchführen lassen wird, die Kinder und ihre Nasen sind klein und zart.
Die freundliche Ausführende verwendet das Stäbchen sacht und kurz in Nase und Mund. In meinem Kopf blitzt die Erinnerung an die Erklärvideos über die korrekte und damit wirkungsvolle Durchführung von Stäbchentest auf, dazu die Frage, wie aussagekräftig dieses Ergebnis sein wird. Aber im Prinzip sind wir Eltern dankbar, dass hier keine Schmerzen verursacht werden. Auf das Antigentestgehäuse wird die Uhrzeit geschrieben, zu der man den Test vorzeigen soll. 15 Minuten warten, bei den meisten ist schnell klar, dass es bei einem Strich bleiben wird. 8:59 Uhr zeige ich vor, erhalte ein offizielles Schreiben, welches das negative Kind bestätigt, das damit freigetestet ist.
Ansonsten: Die STIKO empfiehlt den proteinbasierten Impfstoff Novavax. 40 Prozent der Deutschen haben während der Pandemie fünf bis sechs Kilo im Durchschnitt zugenommen, besonders Kartoffeln und Nudeln waren beliebt, Ernährungsberater sprechen von einem Kohlenhydrate-Overload. Ein offener Brief von Schülervertreterinnen wirft der Politik vor, die Schülerinnen im Stich zu lassen. Mehrere Strafanzeigen gegen Björn Höcke, nachdem dieser in einer Rede im Thüringer Landtag die Coronaimpfung mit dem Holocaust verglichen hat.
2. Februar | was

Es fällt mir schwer, diese Tage mit eindeutiger Zuordnung zu versehen, fast so, als habe ich etwas verloren, was ich die gesamten Coronamonate über besaß: eine klare Haltung zum Umgang mit dem Virus.
Das, was Aufgabe in der Pandemie war – die besonders Gefährdeten zu schützen, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden – scheint, wenn ich auf die aktuellen Zahlen schaue, momentan trotz gewaltiger Ansteckungsrate zu gelingen. Dennoch widerstrebt es mir zutiefst, die aktuelle Situation gut zu finden, gut zu heißen, was geschieht. Und das liegt nicht einmal an den Warnungen – dass die Überlastung komme, wenn die Infektionen im gleichen Maß steigen – nicht an den Berichten aus den Schulen, den Umgang mit den Kindern. Ein grundsätzliches Empfinden seit fast zwei Jahren, wie kann es gut sein, wenn das Virus sich verbreitet? Mein Kopf sagt, dass die Lage unter den Umständen zu akzeptieren ist, mein Bauch fühlt das Gegenteil, irgendwo dazwischen schreibe ich diesen Eintrag und die in den Tagen zuvor.
Vor ein paar Tagen bei Freunden. Sie haben ein Kind, das in die Kategorie besonders gefährdet fällt. Sie erzählen, wie sie damals im März 2020, als so wenig über Covid bekannt war, eine große Sauerstoffflasche kauften und in der Wohnung aufstellten, um für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein. Ein anderes Kind, ebenfalls besonders gefährdet, fehlt seit Mitte Dezember im Kindergarten. Die Eltern haben es vorsorglich aus der Gruppe genommen. Daran muss ich denken, wenn ich die Zahlen sehe, wenn ich schreibe, dass die Lage unter den Umständen zu akzeptieren ist.
Ansonsten: Biontech beantragt in den USA die Notfallzulassung eines Coronaimpfstoffs für Kinder unter fünf Jahren. Knapp 210.000 Neuinfektionen, insgesamt hat sich jeder 8. Deutsche mindestens einmal infiziert. Karl Lauterbach bietet Joshua Kimmich an, ihn selbst gegen Corona zu impfen. Mehrere Länder kündigen an, ihre Maßnahmen zurückzunehmen.
1. Februar | das Verschwinden von Olaf Scholz
Das aktuelle Meme ist das Verschwinden von Olaf Scholz. »“Herr Scholz, können Sie diese Lücken in Ihrem Lebenslauf erklären?“ „Ah, da war ich Bundeskanzler!“«. Oder: »Jemand muss Olaf Scholz sagen, dass er auf mute geschaltet ist.« Oder: »Werden wir zuerst erfahren wer Bansky ist oder wo Olaf Scholz sich versteckt?« Oder: »Hört auf, Olaf-Scholz-Abwesenheitsmemes zu machen. Das ist respektlos. Olaf Scholz schläft unter einem Berg und wird zurückkehren, wenn das Land ihn am meisten braucht!« Oder: »Olaf Scholz ist der ideale Baumarkt-Mitarbeiter.« Oder: »Olaf Scholz ist das Bielefeld der Bundeskanzler. Viele Deutsche rätseln, ob er wirklich existiert.« Oder: »Olaf Scholz ghostet Deutschland.« Oder: »Und dieser Bundeskanzler, von dem Sie seit Wochen in unseren Therapiestunden erzählen, dieser Olaf Scholz, wie Sie ihn nennen, ist der jetzt in diesem Raum?« Oder: »Zu euren Olaf-Scholz-Witzen kann ich nur sagen: Man lästert nicht über Leute, die nicht da sind.«
Grund aller Pointen der Eindruck, dass sich der Bundeskanzler nicht zur Omikronwelle verhält: keine Linie, kaum Ansagen, kein Einordnen, ein Wegtauchen und Durchwinken der Gegenwart. Mit dem Kanzler wird auch die gesamte, neu gewählte Regierung gemeint. Sie lässt die Welle laufen, die Entscheidungen erscheinen sprunghaft, willkürlich, wenig transparent, es sind Maßnahmen, die nicht die Absicht haben, die Welle ernsthaft zu unterbinden.
Eine Menge Enttäuschung schwingt in den Pointen mit. Über den Gesundheitsminister, der, bevor er das Amt antrat, Mahner war und nun im bürokratischen Klein-Klein verschwindet. Über den wissenschaftlichen Beirat, der wenig Raum bekommt oder sich nimmt. Das vermittelte Bild ist, dass alle unausgesprochen das Durchlaufen des Virus befürworten, deshalb verschwinden.
Kann es offen ausgesprochen werden, dass die Durchseuchung / das Gewährenlassen des Virus nun offizielle deutsche Pandemiestrategie ist? Was geschähe, wenn Olaf Scholz erklärte, dass der gesellschaftliche Einsatz für eine effiziente Eindämmung der Omikronvariante zu hoch sei und es deshalb der bessere Weg sei, die den aktuellen Zahlen nach ungefährlichere Mutante durchlaufen zu lassen? Was für eine öffentliche Diskussion würde entstehen, wer würde sich auf die Seite welches Argument schlagen, wer würde frohlocken, wer wäre entmutigt, wer wütend? Wäre nach zwei Jahren eine rationale Diskussion darüber möglich? Müsste sie nicht möglich sein, gerade in diesen Wochen voller Fragen, die viele Gewissheiten auf den Kopf stellen? Ist das Wegtauchen und damit das Vermeiden des Aussprechens des Offensichtlichen in dieser Situation die gangbarste Kommunikation?
Ansonsten: Bei einer Inzidenz von über 5000 hebt Dänemark von heute an alle Coronamaßnahmen auf. Laut WHO entstanden bisher in der Pandemie weltweit mehr als 200.000 Tonnen medizinischen Abfalls. Fachverbände gehen davon aus, dass die Impfpflicht im Gesundheitssektor nicht kontrolliert werden kann. Die Positivrate aller PCR-Test der letzten Wochen liegt bei 41%. Das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel von 80% Geimpfter bis Ende Januar wurde um 5% verfehlt. Boostern wird zum Anglizismus des Jahres 2021 gekürt.
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Ich nehme an Spahn wird recht behalten:
https://www.stern.de/politik/deutschland/spahn–ende-des-winters-sind-alle–geimpft–genesen-oder-gestorben—video–30947130.html
Man könnte sogar sagen er wird doppelt recht behalten, weil auch viele der Geimpften noch zusätzlich genesen sein werden.
Dazu kommt die Statistik. Die Infektionszahlen liegen ca. 10-20x höher als vor einem Jahr, dennoch liegen die Hospitalisierung 20-50% unter der Vorjahresquote und die Todesraten ca. 70-80% unter den Werten vor einem Jahr.
Wolle man die aktuelle Omikron-Welle „brechen“ und nicht nur abschwächen, bräuchte es starke Reisebeschränkungen, Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen. Und das bei den oben genannten Statistiken???
Ich würde erwarten Scholz spielt gerade auf Zeit und lässt andere die Kommunikation übernehmen. Sollte nichts Unerwartetes geschehen, keine neue gefährliche Variante, kein plötzlicher Anstieg in den Krankenhäusern, dann kommt Scholz spätestens in 1-2 Wochen und verkündet Lockerungen und/oder positive Aussichten auf ein Ende der Pandemie. Bis dahin versucht er sich nicht in offensichtliche Widersprüche zu verstricken. Dafür hat er Lauterbach als Gesundheitsminister.