März 2022 | Freedom Day

Vor einigen Wochen habe ich aufgehört, die Coronamonate zu schreiben. Es schien mir obszön und unangebracht, über Inzidenzen Einträge zu verfassen, während Raketen auf Geburtskliniken abgefeuert werden. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Wucht, das Leid, das Unfassbare überlagerte alles, war der Blick, waren auch meine Worte (hier einige Gedanken zum Lesen). Wo zwei Jahre lang die Pandemie gewesen war, war nun der Krieg. In einem frühen Eintrag hatte ich überlegt, wann Corona vorbei wäre. Wenn es nicht mehr in den Nachrichten ist, schrieb ich damals. Nun hätte ich damals nicht gedacht, dass die Pandemie nicht im Zentrum steht, weil Krieg ist. Und: Corona ist ja nicht vorbei.
Im Gegenteil. In den letzten Wochen Höchststände bei den Neuinfektionen, 300.000, jeder zweite Test positiv. Es wird sich angesteckt, objektiv lässt sich das an den Zahlen ablesen, subjektiv sehe ich das im nahen Umfeld: viele Isolationen. Damit tritt auch ein, was prognostiziert wurde: viele Ausfälle, gerade im Gesundheitswesen.
Zeitgleich zu diesen Ansteckungen findet der Freedom Day statt, ein Name, der aus vielerlei Gründen so unpassend ist: das Beenden der Maßnahmen. Erst mal ein technischer Vorgang, vor allem ein Symbol. Die Politik betrachtet das Virus nicht mehr als Bedrohung für die Gesellschaft und handelt entsprechend.
Ich schreibe das nüchtern, weil ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Ich denke an die Inzidenz von 30 zurück und wie es verboten war, ein Buch auf der Parkbank zu lesen. Heute steht die Inzidenz in Weimar bei 2700 und die Maske auf halbmast. Ich verstehe das, weil sich die Umstände geändert haben; so viel mehr stecken sich an und so viel weniger werden krank, der Impfungen wegen, wegen der Mutante. Doch im Durchschnitt sterben weiterhin über zweihundert Menschen am Tag, in den USA sind es tausend Tote am Tag, weiterhin, immer noch. Wie sich verhalten angesichts eines solchen ansteckenden Virus, nach zwei Jahren Pandemie, mit der Möglichkeit des Schutzes, den Sterbenden, dem Abwägen? Die Entscheidung ist längst getroffen: Corona lenkt nicht mehr das öffentliche Leben. Die Last, die die Krankheit verursacht, wird an den Rand gelegt, wieder wenigen aufgebürdet.
Der Kindergarten hat wieder vollumfänglich geöffnet, ich bin froh darüber, betrachte das regelmäßige Testen als lästig und okayen Preis für den Gegenwert einer freien Bewegung. In der ersten Kriegswoche verließ ich die Isolation, die Infektion hatte ich ohne nennenswerte Erkrankung überstanden. Ich las vom Krieg, sah die TikToks von den Panzern, sprach darüber, konnte nicht fassen, was geschah, diskutierte die Wahrscheinlichkeiten eines Atomschlags etc. Corona aber, so schien mir, ist kein Thema mehr. Weder für die Welt noch für mich, besonders für mich. Ich hatte zwei Striche auf meinem Teststreifen gesehen, ich hatte Kopfschmerzen bekommen, hatte acht Tage in der Wohnung verbracht. Nun war ich darüber hinweg. Ich hatte es geschafft. Ich war frei. Termine trudelten ein, die Pläne für den Sommer verfestigten sich. Ich kannte nicht mehr die Inzidenzzahlen, nur hin- und wieder von Reinfektionen. Ich fühlte mich sicher vor dem Virus, ich hatte dennoch Angst um die Welt, so war mein März im dritten Coronajahr.