7. April | vom Tisch

Es fällt weiterhin schwer, Gedanken auf die Pandemie zu richten, gerade nach den letzten Tagen, den entsetzlichen Berichten aus Butscha, soviel Grauen und Abgrund, die Nachrichten von den mobilen Krematorien und deren Verwendungszweck, wie soll daneben ein Eintrag bestehen, dass der Gesundheitsminister Anfang der Woche die Isolationspflicht nach einer Infektion aufheben will und diese Aufhebung Stunden später per Twitter zurücknimmt?
Doch fand heute die Coda eines der zentralen Reizthemen der Pandemie statt: die Abstimmung über die Einführung einer Impfpflicht ab sechzig Jahren. Es fühlt sich auch so aus der Zeit gefallen an, viele Monate zu spät erscheint dieser Versuch zu finalisieren, was solange schon triggerte. Eine Debatte aus dem letzten Jahr, die nun erst entschieden wird, all dieser zähe Vorlauf ist einer der Gründe dafür, dass die Impfpflicht – wie erwartet, möchte ich schreiben – abgelehnt wird. Vom Tisch ist damit eine Coronaimpfpflicht, heute und morgen auch.
Es gibt kaum Argumente gegen das Impfen, einige gegen eine Pflicht, einige dafür. Doch rückblickend das Gefühl, dass die Diskussion darüber immer überhitzt war und auch deshalb gescheitert ist. Auch zu sehen, wie ungeschickt zum Teil, wie häßlich ideologisch die politische Diskussion geführt wurde, wie die Politik versuchte, die Diskussion in eine Politik überführen, wie sie damit scheiterte, kläglich möchte ich schreiben mit all den Ansprüchen und Reputationen, die in Waagschalen geworfen wurden, heute zu sehen, wer sich wie darüber freut, wer die Faust nun grinsend reckt und hämisch jubelt, ist irgendwie auch die Essenz von zwei Jahren Pandemie in diesem Land.
Weil die Entscheidung von heute wirkt wie eine, die gestern hätte getroffen werden müssen und deren Folgen auf morgen wirken werden. Und das Gefühl, dass es alles ganz anders hätte laufen können und so läuft es weiter wie bisher, ein Versagen aller irgendwie, eine komplette Niederlage, nicht zwingend die Entscheidung, sondern der Weg dahin, die Art und Weise, wie sie getroffen wurde.
Und während sich dieser Tag deshalb auch wie ein Kotau vor dem Querdenken anfühlt, währenddessen eine echte Coronadiktatur, eine Dystopie wie aus dem Lehrbuch, in Shanghai gerade, wo der chinesische Staat 26 Millionen Menschen in einen wahrhaftigen Lockdown bringt; patrouillierende Roboterhunde, die auf den leeren Straßen laufen und Regeln verkünden, Drohnen, die vor die Fenster singender Menschen fliegen und per Lautsprecher schnarren: »Kontrollieren Sie den Wunsch Ihrer Seele nach Freiheit. Öffnen Sie nicht das Fenster und singen Sie nicht«, Kinder, die vom Staat von ihren infizierten Eltern getrennt werden, zu geringe Lebensmittelverteilung, regierungstreue Nachbarschaftskomitees, die Quarantänebrecher verprügeln.
4. April | klarkriegen

Nachdem drei von sechs Parteien für das Auslaufen vieler Maßnahmen stimmten, gilt zumindest in Thüringen Maskenpflicht in vielen öffentlichen Orten nicht mehr. Das Tragen von Masken erfolgt nun eigenverantwortlich, ich werde keinen offiziellen Grund mehr haben, von maskenlosen Gesichtern irritiert zu sein.
Gestern der Besuch in einem der Perlenketten-Dörfer. Zwei Jahre hat sich das Dorf das gesamtgemeinschaftliche Feiern versagt. Vor zwei Wochen ein Polterabend, zu dem alle Bewohner eingeladen waren, 2G Plus. Ein Superspreadereignis, anschließend ist ein Großteil der Anwesenden und damit ein Großteil des Dorfes infiziert. Die Verläufe, so der Stand nach zwei Wochen, nicht schwer.
Klar kriege ich es nicht, dass das Abschaffen der Coronamaßnahmen von einigen als Freiheit gefeiert wird und diesen Freiheitsbegriff gegen die Bilder aus Butscha setzen zu müssen. Klar kriege ich ebenfalls nicht die Demonstrationen und Posts und Hashtags gegen die Coronadiktatur, wenn ich diesen Diktaturbegriff gegen die Geschichte von Mariana aus Mariupol setze.
Und die Lebensmittelhändler erhöhen die Preise um einen zweistelligen Prozentsatz und die Energiepreise verdreifachen sich für Haushalte und in Katar, wo mehr als 6500 Menschen beim Bau von Fußballstadions starben, werden die Gruppen für die Fußball-WM ausgelost und es ist weniger schlecht, zukünftig Gas aus diesem Land zu kaufen, weil es schlechter ist, den russischen Krieg mit dem Kauf von russischem Gas zu finanzieren und schlechter ist als eine große Rezession in Deutschland und in Afghanistan verbieten die Taliban Mädchen das Lernen und in Ungarn erhält Orban fast zwei Drittel aller Stimmen und für Frankreich schließen einige Analysten einen Sieg Le Pens nicht mehr aus und in der Arktis liegen die Temperaturen bis zu vierzig Grad über dem Normalwert und in der Antarktis auch und währenddessen läuft die Pandemie weiter, so viele und so viele hunderttausend Ansteckungen am Tag und die Maßnahmen setzen aus und die Verläufe sind für die meisten mild und für einen Teil nicht und weiterhin sterben zweihundert Menschen am Tag daran, das ist die Zahl, auf die wir uns geeinigt haben und all das nebeneinander, gegeneinander, ineinandergreifend, so richtig klar kriege ich das nicht Anfang April.