
Sommer, 30 Grad, gelbes Gras, wenig Regen, Freibad, kurze Hosen. Die Erkenntnis aus zwei Pandemiesommern war, dass der Pandemiesommer die Pandemie in eine Pause versetzt: Aerosole treiben weg, Zahlen sinken, Entspannung tritt ein. Diesmal ist es anders.
In diesen Sommerbeginn kracht die Omikron-Subvariante BA.5, die eigentlich einen eigenen Namen verdient hätte. Fast zeitgleich werden die kostenfreien Tests abgeschafft. Ein Bericht erscheint, der die bisherigen deutschen Coronamaßnahmen evaluiert. Dessen öffentliche Wahrnehmung tendenziell eher verheerend, von einer »Klatsche für Team Vorsicht« wird geschrieben, dass wenig etwas gebracht haben, Masken unwirksam gewesen seien, der Blick auf die Fehlstellen gerichtet. Bei näherer Betrachtung ist es durchaus nicht ganz so eindeutig. Es geht auch darum, dass viele Daten nicht erhoben werden konnten, ein Beispiel. Ein anderes: Die Besetzung der Kommission, die nicht unbedingt eine wissenschaftliche Diskussion möglich machte. Zumindest eine recht klare Erkenntnis: Im Laufe der Zeit verlieren viele einschränkende Maßnahmen ihre Wirkung.
Im Zusammenspiel all dieser Dinge – starke ansteckende Variante, nachlassender Impfschutz, weniger Tests, weniger Vertrauen in Maßnahmen – scheint der Sommer zu einem Herbst zu werden. Was der Herbst dann wird, keine Ahnung.
Ich lasse mich im Friedrichsdorfer Bahnhof ein letztes Mal kostenlos testen, negativ sagt die Mail fünfzehn Minuten später. In der Schule dort sind zehn Prozent der Lehrerinnen angesteckt, die Verläufe zum Teil heftig. Querdenker diskutieren die These, dass sich aktuell nur Geimpfte anstecken etc.
Dabei war uns doch mal ein Ende der Pandemie versprochen, zumindest ein weiterer leichter Sommer. Aber der Subtyp und Stellungskrieg in der Ukraine und die steigenden Energiepreise und die Inflation und die Dürre und die Infrastrukturen, die zeitweise kollabieren, weil das Personal fehlt oder ausfällt und die Globalisierung, die sich einigelt und der Oberste Gerichtshof in den USA, der die Uhren gerade hundert Jahre zurückdreht und zugleich die juristischen Voraussetzungen für eine Autokratie schafft und Hongkong, das eingehegt wird und all das in diesen ersten Julitagen, ein Viertel der 2020er Jahre sind vorbei und es gibt nicht gerade viel Anlass zur Vermutung, dass sich in den nächsten Monaten grundsätzlich etwas drehen wird, dass sich das zweite Viertel der 20er Jahre großartig vom ersten Viertel unterscheiden könnte, eher anders, eher, dass die Dynamik in Gang kommt und dass das Bild der 2020er im Grunde schon geprägt sein könnte, im Rückblick ein Jahrzehnt des freien Falls.
Und bei diesen dunklen Gedanken, die eigentlich eher Beobachtungen der Gegenwart als schon Mutmaßungen der Zukunft sind, der Gedanke, dass in dem, was kommt, das Leichte fehlen wird, dass Corona vielleicht tatsächlich einmal als der große Trenner zwischen zwei Zeiten gesehen werden könnte.