5. März 2024 | Fuckup-Night der Demokratie

Nachmittags Dreh im Bildungszentrum der Thüringer Polizei in Meiningen. Dort in einem Hörsaal die Vorstellung neuer Mitteldistanzwaffen. Vier davon liegen – bunt, die Seriennummer verdeckt, die Aufbewahrungskoffer dürfen nicht gefilmt werden – auf einem Tisch aus. Der Innenminister betont mehrmals, dass er hoffe, dass diese Waffen niemals zum Einsatz kämen.

Danach geht es in den Schießstand, Gehörschutz aufsetzen, Laserstrahlen fixieren das Ziel an, zwei Trainer feuern mehrere Schüsse auf eine digitale Projektion ab, Hülsen ploppen auf den Boden. Einer der anwesenden Journalisten will eine Hülse als Mitbringsel aufnehmen, einer der Polizeibeamten unterbindet dieses Ansinnen, die Hülsen seien abgezählt.

Am Abend die »Fuckup-Night für die Demokratie« im Hörsaal 1 der Universität Erfurt. Vier Spitzenkandidatinnen und Kandidaten der Thüringer Landtagswahl sowie der hiesige Generalsekretär der FDP sollen über Fehler sprechen, eigene Fehler. Das ist das Konzept des Abends: »Die Politiker, die sonst gern auf ihre Erfolge hinweisen, werden an diesem Abend einmal übers Scheitern sprechen. Es wird darum gehen, warum es so schwer ist, politische und persönliche Fehler einzugestehen, warum jeder Fehler in der Politik skandalisiert wird und ob es nicht die Demokratie stärken würde, wenn wir in der Politik und in der politischen Öffentlichkeit anders mit Fehlern umgehen würden.«

Deshalb ist der Hörsaal heute ein SafeSpace. Filmen ist nicht gestattet, anfangs der Appell, man solle respektvoll mit dem Gesagten umgehen. Ein Professor der Kommunikationswissenschaft hält einen Impuls, sagt: »Sie haben sich entschieden, als Politikerinnen und Politiker unserer repräsentativen Demokratie für uns alle in den Wind zu stehen und Sie halten diesen Wind aus. Dafür verdienen Sie zuerst einmal unsere Anerkennung, egal, wie wir im Einzelnen zu Ihnen stehen.«

Anschließend bittet er um Applaus für die anwesenden Politikerinnen und Politiker. Das wirkt im ersten Moment pastoral, setzt aber in Zeiten, in denen Galgen auf Demonstrationen getragen werden, einen Ton für den Abend, eine Art Anti-Die-Da-Oben.

So ist der Eindruck, dass die Politikerinnen dankbar sind für diesen Applaus, diese Einstellung der Anwesenden ihnen gegenüber, auch für die Möglichkeit, nicht über Inhalte, sondern die Form sprechen zu können. Zehn Minuten hat jede/r Zeit, eigene Fehler zu benennen. Das ist auch ein bisschen Spieltheorie: Wie viel gebe ich preis im Vergleich zu anderen, wie weit wage ich mich vor?

Mario Voigt, CDU, legt die Latte hoch, erzählt von der Wahl 2020 und den verpassten Neuwahlen und seiner Rolle darin. Dem folgen dann auch andere Sprecher. Und es wird deutlich, wie tief sich diese Ereignisse in die Biografien und die Köpfe der Einzelnen gegraben haben, wie diese Vergangenheit weiterhin die Gegenwart bestimmt, das Handeln heute. Bodo Ramelow spricht von einer »Topographie des Wehtuns«.

Einiges des Gehörten wurde schon oft erzählt, anderes, so lässt die Reaktion der Anwesenden vermuten, wird zum ersten Mal gesagt, zumindest zueinander. Und das wiederum setzt ein gemeinschaftliches Erstaunen frei: Warum ist es so schwer, darüber zu sprechen, über die eigene Rolle darin, welche Fehler man in diesen nicht unkomplizierten Vorgängen gemacht hat?

Später ein gemeinsames Podium. Auch wieder ein Benennen von Fehlern, auch, wie schwer es ist, Räume zu schaffen, in denen das geschehen könnte, auch, weil stets die Befürchtung ist, die politischen Gegner könnten dies nutzen. Die fünf auf der Bühne, von denen man weiß, dass es beachtliche Differenzen zwischen einigen von ihnen gibt, sitzen zusammen, reden. Mario Voigt begründet, weshalb er in ein Fernsehduell mit Björn Höcke gehen wird. Der Innenminister neben ihm begründet, warum er das für falsch hält und fügt dann hinzu: Ich hoffe sehr, dass es kein Fehler wird, was du da vorhast, Mario.

Als jemand aus dem Publikum fragt, wie man aus den Fehlern von 1933 lernen könnte, zieht Schwere ein. Das Abwesende ist das Bedrohliche. Der Abend ist vom Zuhören geprägt, vom Eingestehen, einander Zugestehen. Auch wenn man noch so unterschiedlich auf die Welt blickt: Man sieht die Welt in ihren Grundsätzen ähnlich.

Doch bei dieser Frage wird klar: Das ist auch notwendig. Das ist auch das absolute Minimum. Jedem vorn im Podium ist bewusst, dass, egal, was er oder sie vom TV-Duell hält, er oder sie hoffen muss: Es darf kein Fiasko geben. Wenn Mario Voigt dabei scheitert, wenn die CDU dabei scheitert, auf dem Land scheitert, dann wird die Fuckup Night 2025 ganz anders aussehen.

Nach zweieinhalb Stunden pendelt die Stimmung irgendwo zwischen konstruktiv, verhalten zuversichtlich und bang. Der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen übernimmt das Schlusswort, sagt: »Ich hoffe, dass die nächsten Landtagsdebatten nicht ganz so harmonisch ablaufen, weil dann ist es etwas langweilig.«

Mit dieser Einstellung antizipiert er das Kommende. Wir bleiben noch im Hörsaal, stehen zusammen, reden. Eine Viertelstunde später geht ein Gerücht rum: Eine dpa-Meldung sei erschienen, darin stehe, dass Bodo Ramelow damals auf Clubhouse betrunken gewesen sei. Und dann ploppen die Artikel auf; Stern, Süddeutsche, Thüringen24, Bild, Ramelow betrunken, das ist, was vom Reden über Fehlerkultur bleibt, über das Eingestehen und Reflektieren, das Differenzieren, drei Gläser Bier, ist was bleibt, betrunken, wieder eine verschenkte Möglichkeit, den Kreislauf zu durchbrechen, ein Fuckup.

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