Chronik 2024. April.

Gehacktes


1. April 2024 | Aprilscherz

Erdoğan verliert die Kommunalwahlen in der Türkei. 1500 Menschen versammeln sich zum »Ankiffen« vor dem Brandenburger Tor, da Cannabis seit heute legal ist. Unbekannte gendern Einträge zur CDU bei Google Maps; wer dort nach der Partei sucht, erhielt als Ergebnis CDU-Bundesgeschäftsstelle*innen. Eine der drei Meldungen ist ein Aprilscherz.

2. April 2024 | Future

Der wärmste März in Deutschland seit Messbeginn. Die Vermutung, dass das Autoritäre der Zukunft mit dem Klima der Zukunft Hand in Hand gehen wird. Heute diesen Text von Nils Markwardt gelesen: Faschisten wollen Future. »Wie kaum eine andere politische Kraft der Gegenwart vermag der Rechtsextremismus seinen Anhängern ein nach vorn stürzendes Zukunftsprojekt zu verkaufen, das nebenbei sogar noch Spaß macht… Nicht nur die Verlangsamung und das Bewahren, sondern ebenso die Beschleunigung und die Sprengung der Verhältnisse. Nicht ausschließlich der blinde Hass, sondern ebenso das kalkulierte Vergnügen… damit auch der Spaß an der Eskalation, die Lust an der Jagd, das Feixen über das Leid der Anderen.« 

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Chronik 2024. März.

Fuckup-Nights der Demokratie


1. März 2024 | Prägung

Erneut die Rede von Höcke gehört, in der er im Sinne Gramsci spricht: »Wer die Begriffe prägt, prägt die Sprache. Wer die Sprache prägt, prägt das Denken. Wer das Denken prägt, prägt den politischen Diskurs. Und wer den politischen Diskurs prägt, der beherrscht die Politik, egal, ob er in der Opposition ist oder in der Regierung.« Selten galt das mehr als beim Begriff der Remigration.

3. März 2024 | Faktenfindung

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Chronik 2024. Februar

Einmal werden sie Musicals
aus diesen Tagen machen


1. Februar 2024 | Drei sind eine Party

Laut Umfrage in Sachsen-Anhalt würden momentan im Landtag sitzen, etwa gleichauf: CDU, AfD, BSW.

2. Februar 2024 | Inflationen

Am Vormittag passiere ich die Streikkolonne, die am Atrium vorbeizieht, Verdi in signalgelben Jacken. Ein Wort im Umlauf; »Streikinflation«. Der Unmut trägt sich auf die Straße, öfter, mehr, stärker als zuvor. Von »Französischen Verhältnissen« wird geschrieben. Nach der Niewiederistjetzt-Demonstration in Bautzen kommt es zu einer Serie rechtsextremer Anschläge: Brandanschlag auf Jugendklub, Hakenkreuz an der Fassade des deutsch-sorbischen Volkstheaters, etc. Markus Söders Faschingskostüm für das Jahr 2024 ist Bismarck. Martin Sellners »Remigration: Ein Vorschlag« steht auf eins der Amazoncharts. Es erscheint erst in einem Monat.

3. Februar 2024 | Landesparteitag

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Chronik 2024. Januar.

Ich höre ein Ungeheuer atmen


1. Januar 2024 | Nasser Rauch

Was ich an diesem ersten Tag des Jahres schreibe: 2024 wird kein gutes Jahr. Ich schreibe: 2024 wird ein Jahr des Übergangs, ein Jahr, von dem man im Rückblick sagen könnte, da liefen langwährende Entwicklungen zu Knoten zusammen. Die Wahlen vor der Haustür, im Land, in Europa, in der Ferne, alle mit der Wahrscheinlichkeit, Kräfte in Verantwortung zu bringen, die Strukturen dauerhaft ändern werden. Zum Gefährlichen. Das ist die These, ist der Grund, festzuhalten, was um mich herum geschieht, was mich von außen erreicht. Ich hoffe, dass ich damit scheitern werde, dass die Annahmen widerlegt werden, dass sich die Notizen am Ende als überflüssig erweisen werden.

Im Garten am Lagerfeuer gestanden, über Politik gesprochen. Jemand sagt, dass er gar nicht weiß, wen er schlimmer finde, Trump oder Biden. Jemand spricht über das Chaos der deutschen Regierung und sinniert über das Bild der »Ampel«, eine Ampel, die eigentlich ordnen soll, es aber nicht tut. Einig ist man sich, dass man politisch maßlos enttäuscht ist. Es beginnt zu regnen. Beim Reden dreht beständig der Wind, so dass der nasse Rauch mein Gesicht findet, gleich, wohin ich mich auch bewege.

2. Januar | im Ohr

Die Beobachtung, wie versucht wird, beim Warnen vor 2024, über dessen Bedeutung sich nicht wenige bewusst sind, sich Mut zuzusprechen; man dürfe sich nicht dem Defätismus ergeben, müsse mit Kraft in das Jahr gehen. Ich tue das auch, und weiß, dass es gelogen ist; die innere Unruhe viel zu gewaltig, die Sorge, die Angst. Noch die Rufe im Ohr, die Worte, wie bestimmte Gruppen die Eskalation zu Silvester herbeigesehnt haben.

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5. März 2024 | Fuckup-Night der Demokratie

Nachmittags Dreh im Bildungszentrum der Thüringer Polizei in Meiningen. Dort in einem Hörsaal die Vorstellung neuer Mitteldistanzwaffen. Vier davon liegen – bunt, die Seriennummer verdeckt, die Aufbewahrungskoffer dürfen nicht gefilmt werden – auf einem Tisch aus. Der Innenminister betont mehrmals, dass er hoffe, dass diese Waffen niemals zum Einsatz kämen.

Danach geht es in den Schießstand, Gehörschutz aufsetzen, Laserstrahlen fixieren das Ziel an, zwei Trainer feuern mehrere Schüsse auf eine digitale Projektion ab, Hülsen ploppen auf den Boden. Einer der anwesenden Journalisten will eine Hülse als Mitbringsel aufnehmen, einer der Polizeibeamten unterbindet dieses Ansinnen, die Hülsen seien abgezählt.

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22. Januar 2024 | Wielandplatz

Der Wielandplatz ist kein typischer Demonstrationsort für Weimar. Da der Theaterplatz wie jeden Montag von den Spaziergängern beansprucht wird, heute Wieland. In die Marienstraße stehen die Menschen, drängen vom Frauenplan, füllen Teile der Steubenstraße, der Amalienstraße. Die Lautsprecher sind schwach, beschallen nur einen Teil des Raums. Es hat geregnet, der Schnee der letzten Tage ist getaut. Selbstgebastelte Schilder, Familien mit Kindern, Fahrradanhänger, man hat vorher bei Fritz Mitte Pommes geholt. Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora ordnet in einer Rede die Reaktion der AfD auf die Demonstrationen der letzten Tage ein, deren Vergleichsversuche zu den Fackelmärschen 1933. Am Freitag war ich in Jena, die vielen Tausend vor der Stadtkirche. Hier, an den Orten, denen ich täglich bin, klingt mir NieWiederIstJetzt noch einmal anders in den Ohren. Im Haus der Weimarer Republik war kürzlich ein Vortrag über die Thüringer Landtagswahlen von 1924, der Ordnungsbund damals zusammen mit der Vereinigten Völkischen Liste.

Beim Versuch, auf dem Rückweg den Theaterplatz zu umgehen, gerate ich in den Marsch der Montagsspaziergänger. Trommeln schlagen den Gleichschritt, ein offensichtlich wahres Bild, auch die Fahnen, die geschwenkt werden. Im Nachgang die Traktoren. Dabei sollten die Traktoren nicht hier sein, sie gehören auch an den Wielandplatz. Kleine Kinder sitzen mit in den Fahrerkabinen. Zu viele Minuten, bis der Marsch vorbeigezogen ist.

Beide Kundgebungen sind nur durch ein paar Weimarer Querstraßen getrennt, ein paar Einsatzwagen der Polizei dazwischen, eng beieinander die Wucht, die Wut, die Welten. Ist erst Januar, die dritte Woche eines langen, langen Jahres.

Die Zukunft Deutschlands entscheidet sich in Gerstengrund


Ende Februar fahren wir zurück nach Gerstengrund. Im Gemeindehaus sind die Tische schon gedeckt. Neben Gebäcktellern steht dort »AfD«-Bier, zehn Kästen bekam das Dorf im Herbst 2019 von der »Die Partei« geschenkt, weil Gerstengrund die einzige Gemeinde war, in der die AfD zur Landtagswald keine einzige Stimme erhielt.

Gerstengrund liegt in der Rhön, am Ende des Kohlbachtals, nur eine Straße führt hinein, keine hinaus. Zu Zeiten der Gegenreformation flüchteten Katholiken hierher und blieben dort. Zu DDR-Zeiten befand sich Gestengrund unmittelbar an der innerdeutschen Grenze und durfte nur mit Genehmigung betreten werden. Der Glaube hier ist besonders stark und die Abneigung gegen den Kommunismus besonders groß. Bei der letzten Wahl erhielt die CDU 82,9% der Stimmen. Es hat auch Zeiten gegeben, in denen die CDU bei hundert Prozent lag. Sehr viel mehr Zuspruch für die CDU wird man deutschlandweit nicht finden. Und deshalb ist es wichtig zu schauen, wie Gerstengrund nach den Ereignissen der letzten Wochen über die Zukunft darüber denkt. Weiterlesen

ALF an der Urne. Landtagswahl in Meusebach.


Am Tag, an dem jeder vierte Thüringer einen Faschisten wählt, fahren wir nach Meusebach. Meusebach ist eines jener kleinsten Dörfer des Landes, das wir schon mehrmals besucht haben. Meusebach hat 92 Einwohner, 78 sind wahlberechtigt, am Ende des Tages werden 69 von ihnen gewählt haben.

Das kleine Dorf liegt etwa zwanzig Kilometer südlich von Jena, eingebettet in einem Tal. Neben einem schmalen Bach schlängelt sich die Dorfstraße, die nach der Wendeschleife in einen Wald übergeht. Hier stehen keine großen Höfe, sondern Häuschen, nicht wenige davon Fachwerk. Aus einer alten Scheune haben die Dorfbewohner selbst ein Gemeindehaus gebaut, die Spatzenjägerhalle. Wo sie sonst Fasching, Weihnachten, Dorffest feiern, ist heute das Wahllokal. Weiterlesen

Fridays For Future. Der Schrei.

Jemand steht vor den Kindern und ist dagegen. Niemand fragt ihn, warum er dagegen ist. Also sagt er es laut. Er sagt, die Erderwärmung gibt es nicht. Er sagt, die sind doch von der Umweltlobby gezwungen. Er sagt, so wird die Dummheit unterstützt, die dieses Regime oben hält. Er sagt, dieses Mädchen mit den Zöpfen ist doch krank. Er sagt, die mit ihrem Ökofaschismus ist schuld am Terroranschlag in Christchurch. Er sagt, die Kinder sind doch naiv. Er sagt, die Kinder sollen doch mal selbst denken und nicht wie Schafe einer Herde sein. Er sagt, die sollen lieber Müllsammeln gehen anstatt mit Schildern durch die Stadt. Er sagt, die sollen samstags streiken, Schulschwänzer sind nicht glaubwürdig.

Jedenfalls ist er aufgebracht. Die Kinder und ihre Schilder triggern ihn. Sie rühren etwas in ihm an. Ansonsten würde er nicht so heftig empfinden. Wenn er sonst nichts einräumt, zumindest das muss er einräumen. Weiterlesen

Martin Sonneborn als Graf von Stauffenberg versucht auf eine Lesung von Björn Höcke zu gelangen

Martin Sonneborn steht auf einer Frankfurter Toilette. Er will sich umziehen. Das Kostüm hat er auf die Buchmesse geschmuggelt. Aus seinem Rucksack fummelt er eine Uniform, die wie alle Uniformen schneidig ist, niemand würde unschneidige Uniformen tragen wollen. Vor allem aber ist es die Uniform von Graf von Stauffenberg.

Martin Sonneborn hat die größte patriotische Tat begangen, größer als alles, was die AfD in ihrer tausendjährigen Geschichte jemals geschafft hat: Er hat die Fußballweltmeisterschaft nach Deutschland geholt. Heute sitzt er im Europarlament, arbeitet dort engagierter als viele seiner Kollegen und hat zu oft ranzige Witze über Frauen auf Lager.

Jetzt steht er unten an der Rolltreppe. Oben im Konferenzraum Concordia stellt Björn Höcke sein neues Buch vor: ein Fluss, eine Zeit, ein Gedankengut, das niemals dasselbe ist, aber sehr ähnlich sein kann. Martin Sonneborn trägt eine schwarze Augenklappe und hat eine Aktentasche aus braunem Leder bei sich, so eine, wie Stauffenberg sie damals unter dem Tisch in der Wolfschanze platziert hatte. Doch Sonneborn kommt nicht weit. Sicherheitsleute verweigern ihm den Zutritt zur Lesung.

An dieser Stelle endet der Text. Man kann keine launigen Texte über eine Lesung von Björn Höcke schreiben. In seinem neuen Buch schreibt Björn Höcke von einem kommenden »Aderlass«, fragt, ob »ein Volk überhaupt in der Lage ist, sich selbst aus dem Sumpf wieder herauszuziehen«. »Es braucht eine starke Persönlichkeit und eine feste Hand an langer Leine, um die zentrifugalen Kräfte zu bändigen und zu einer politischen Stoßkraft zu bündeln« schreibt er und folgert, dass »wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind« mitzumachen. Weiterlesen