Monate in Wiepersdorf

Zum Schreiben in Wiepersdorf: ein Ort der Romantik, ein Schloss mit Park, in dem Abbilder griechischer Götter uns Spalier stehen, ein Wald schließt sich an, saubere Luft, grüne Weite, Landfrieden. Draußen passiert derweil allerlei, die Welt sowieso und die alltäglichen Leben dazu. Bis hierher dringen Nachrichten nur wohltemperiert durch.Das Umschlagen von Zeitungsseiten beruhigt; das Lesen über dem Falz, das Zurückblättern, das Knicken und Glattstreichen, das Durchscheinen von Artikeln der Rückseite, wenn man die Zeitung gegen das Licht hält, das Auslöschen der Informationen und damit der Welt durch die Wiepersdorfer Morgensonne – lauter befriedigende Vorgänge, mit denen ein Tag beginnt.Das schönste Licht, darüber herrscht Einigkeit, hat es in den frühen Abendstunden. Hinter dem Schlosspark senkt sich die Sonne ins Bärwäldchen hinein. Die Kastanien im Gegenleuchten eines vergehenden Tages, das Laub verliert durch das Strahlen sein Grün, ein Verwandeln in gleißende Flächen, abertausende glitzernde Seen schweben in der Luft, lauter Reflexionen.Wir reden über die Namen der Arnim-Sprösslinge, dem Freimund, Siegmund, Friedmund, Kühnmund, alle Munds mit heroischen Eigenschaften. Die Mädchen durften diese Eigenschaften nicht tragen, die Maximiliane, Armgart und Ottilie.
Hier ist gleichzeitig Vergangenheit, Jetzt und Zukunft, für die wir natürlich ausschließlich schreiben. Noch müssen unsere Sätze und Bilder und Installationen verborgen bleiben, aber sie sind für die Welt gemacht, für die fernen Tage.eichenprozessionsspinnersw
Schnell ist das Ortsausgangsschild erreicht, ein rotesweißes Warnzeichen, das vor dem Eichenprozessionsspinner warnt, dem raupendermatitisauslösenden Nachtfalter aus der Familie der Zahnspinner. In Wiepersdorf sagt man, dass in den Wiepersdorfer Wäldern einst Rotkäppchen lebte. So wahr sind die Legenden.Hohenkuhnsdorf, Hohenseefeld, Nonnendorf, Schönwalde, Reinsdorf, so heißen die Orte, denen wir begegnen. Sie tragen ihre Häuschen und Beetchen, ihre eine Bushaltestelle, das brachliegende Bauland, die Tischtennisplatte an uns vorbei. Katzen trotten über die Landstraße, lassen sich von niemandem etwas zu ihrer Geschwindigkeit sagen. Satt von Luft und den Blicken, die gewaschenen Augen. Die Wege sind flach, geht es mal abwärts, geht der Rückweg seltsamerweise ebenfalls abwärts, ein rational nicht zu erklärendes Wunder sind diese Ebenen im Niederen Fläming. Still ist die Nacht übrigens nie. Die Unken am Angertümpel, das Bellen der Dorfhunde, das Rattern von Windrädern, Flattern von Fledermäusen, das leichte Dröhnen von Linienflugzeugen und vor allem – die Nachtigall.Im Garten auf einer Hollywoodschaukel sitzen Glattgeschorene und werfen uns patriotische Blicke zu, sind aber natürlich zu feist, um uns ernsthaft nachzujagen. Wir müssten uns schon auf dem Heimatfest begegnen.
Jederzeit könnten wir absteigen und uns zwischen die Bäume begeben, uns in der Tiefe verlieren, jedenfalls so lange, bis der Wald ans nächste Feld stößt. Feuer würde oft von Leuten ausgelöst, die in den Wäldern nach Weltkriegs-Memorabilia suchen, nach russischen Orden, Helmen oder Waffenteilen und dabei auch phosphorhaltige Munition aus dem Erdreich buddeln. Diese könnte sich entzünden. Feuer bricht aus. Und dann steht die Feuerwehr dort und kann nicht löschen, weil jederzeit Munition explodieren könnte. Die Männer müssen das Waldstück kontrolliert abbrennen lassen.
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Wir können nicht beschreiben, was der Ort mit uns gemacht hat, wir können nur aufzählen: Wir saßen auf der Terrasse und sprachen im Sonnenschein über den Tod. Wir erzählten aus unseren Leben und was wir wollten, vom nächsten Wort, das wir schreiben würden, aber noch nicht besaßen.

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