Lieder 2022. Lauter Gründe dafür.

Black Country, New Road – Snow Globes

Snow globes don’t shake on their own

Kae Tempest – Salt Coast

Trying to get away from the mistakes you’ve made before

Die Nerven – Europa

Und ich dachte irgendwie in Europa stirbt man nie

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Alben 2022. Diese schwierige Dekade.

Black Country, New Road – Ants From Up There

Das Debüt hatte mich damals (2021) bis ins Mark begeistert. Ein knappes Jahr später der Nachfolger, in der Woche der Veröffentlichung verlässt Sänger Isaac Wood, der mit Text und Vortrag so maßgeblich für BCNR ist, die Band. Und dann ist »Ants From Up There« nicht besser als »For The First Time«, es ist auf andere Weise genauso gut und mit »gut« meine ich außergewöhnlich und mit »außergewöhnlich« ein eigenes Universum, in dem jeder Ton zigfach gespiegelt und transzendiert wird und Wellen schlägt, die ganze Kontinente musikalischer Genres zum Einsturz bringt. So viele Inseln, outstanding, kurz vor dem Ende »Snow Globes«, ein kostbarstes Stück Musik, die Wiederholung, das Anschwellen, die Erlösung, der Text, der vielleicht einfach gemeint sein könnte und so viele Ebene trägt. Entweder explodieren Black Country, New Road weiterhin in den nächsten Jahren oder »Ants From Up There« war die Implosion. Jedenfalls ohne Wenn und Aber meine Band dieser schwierigen Dekade.

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Coronamonate | Juni 2022

13. Juni | es wären Affenpocken gewesen

Hätte ich einen Eintrag für den Coronamai 2022 geschrieben, dann hätte er Affenpocken geheißen. Denn darum ging es, ein neuer, vielleicht alter Virus, die Aufmerksamkeitsmechanismen Corona ließen sich darauf lustvoll anwenden, ein einprägsamer Name, und dann doch recht schnell die Information, dass eine Affenpocken-Pandemie eher unwahrscheinlich schien. Dazu der Vermerk, dass die Zahlen weiter sinken, immer wieder der niedrigste Stand seit.

Vielleicht deshalb kein Schreiben. Und ein Schreiben Mitte Juni, weil die Zahlen wieder steigen, der R-Wert bei 1.3, eine Untervariante Omikrons aus Südafrika oder Portugal ersetzt die bisherige Untervariante, ansteckender, offenbar auch krankheitserregender. Aber das läuft neben Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket und Sylt und Inflation und immer-noch-Ukraine eher unauffällig her. Man macht sich keine große Sorgen – und in diesem man ist auch ich eingeschlossen – und die Feste werden größer und die Festivals stehen offen und die Masken sind unten und ich verhalten vollkommen irrational; gehe auf Lesungen, Abschiedsfeiern, Konzerte, Kinos (so, wie damals in den 10er Jahren), umarme, stehe dicht, atme aus und noch mehr ein und beim Betreten des Supermarkts setze ich die Maske dennoch auf, eine letzte Reminiszenz an die vergangenen beiden Jahre, eine letzte Barriere, pflichtschuldig, warum auch immer.

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Coronamonate | April 2022

7. April | vom Tisch

Es fällt weiterhin schwer, Gedanken auf die Pandemie zu richten, gerade nach den letzten Tagen, den entsetzlichen Berichten aus Butscha, soviel Grauen und Abgrund, die Nachrichten von den mobilen Krematorien und deren Verwendungszweck, wie soll daneben ein Eintrag bestehen, dass der Gesundheitsminister Anfang der Woche die Isolationspflicht nach einer Infektion aufheben will und diese Aufhebung Stunden später per Twitter zurücknimmt?

Doch fand heute die Coda eines der zentralen Reizthemen der Pandemie statt: die Abstimmung über die Einführung einer Impfpflicht ab sechzig Jahren. Es fühlt sich auch so aus der Zeit gefallen an, viele Monate zu spät erscheint dieser Versuch zu finalisieren, was solange schon triggerte. Eine Debatte aus dem letzten Jahr, die nun erst entschieden wird, all dieser zähe Vorlauf ist einer der Gründe dafür, dass die Impfpflicht – wie erwartet, möchte ich schreiben – abgelehnt wird. Vom Tisch ist damit eine Coronaimpfpflicht, heute und morgen auch.

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Coronamonate | März 2022

März 2022 | Freedom Day

Vor einigen Wochen habe ich aufgehört, die Coronamonate zu schreiben. Es schien mir obszön und unangebracht, über Inzidenzen Einträge zu verfassen, während Raketen auf Geburtskliniken abgefeuert werden. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Wucht, das Leid, das Unfassbare überlagerte alles, war der Blick, waren auch meine Worte (hier einige Gedanken zum Lesen). Wo zwei Jahre lang die Pandemie gewesen war, war nun der Krieg. In einem frühen Eintrag hatte ich überlegt, wann Corona vorbei wäre. Wenn es nicht mehr in den Nachrichten ist, schrieb ich damals. Nun hätte ich damals nicht gedacht, dass die Pandemie nicht im Zentrum steht, weil Krieg ist. Und: Corona ist ja nicht vorbei.

Im Gegenteil. In den letzten Wochen Höchststände bei den Neuinfektionen, 300.000, jeder zweite Test positiv. Es wird sich angesteckt, objektiv lässt sich das an den Zahlen ablesen, subjektiv sehe ich das im nahen Umfeld: viele Isolationen. Damit tritt auch ein, was prognostiziert wurde: viele Ausfälle, gerade im Gesundheitswesen.

Zeitgleich zu diesen Ansteckungen findet der Freedom Day statt, ein Name, der aus vielerlei Gründen so unpassend ist: das Beenden der Maßnahmen. Erst mal ein technischer Vorgang, vor allem ein Symbol. Die Politik betrachtet das Virus nicht mehr als Bedrohung für die Gesellschaft und handelt entsprechend.

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Wenigstens | Ukraine Januar – März 2022

17. Januar

Gespräche über den Aufmarsch der russischen Armee an der ukrainischen Grenze. Keiner erwartet einen Angriff oder ähnliches. Aber die hunderttausend Soldaten stehen dennoch dort, wozu, wenn nicht?

24. Januar

Ein Marinegeneral, der erklärt, dass Russland die Ukraine nicht angreifen werde und man Putin Respekt erweisen solle, tritt ab. Dabei spricht er mit seiner Aussage die offizielle Sprache; die Ukraine nicht zu unterstützen.

9. Februar

Putins Yacht, die seit September in einer Hamburger Werft überholt wurde, hat, so wird es geschrieben, überstürzt den Hafen verlassen und soll Kurs auf Kaliningrad genommen haben. Ein Hinweis?

12. Februar

Die Diskussion über einen möglichen Angriff Russlands auf die Ukraine ähnelt nun der Diskussion über Coronamaßnahmen, was Intensität der Diskussion angeht, auch Absolutheit der Meinungen. Die Krise in Osteuropa erhält einen eigenen Newsticker, so, wie es ihn für die Pandemie seit zwei Jahren gibt.

15. Februar

Die USA kündigte an, dass Putin gestern habe angreifen wollen. Er greift nicht an. Eine selbstzerstörende Prognose?

19. Februar

Weiterhin unwirklich, am Vorabend eines Krieges zu sein: Menschen werden evakuiert, Botschaften verlegt, Fluglinien setzen Flüge aus, Gefechte »flammen auf«. In der Summe eine eindeutige Dynamik, die Hoffnung, ein Irrtum.

22. Februar

Putin lässt seine Soldaten in die Ostukraine einmarschieren, wie eine vulgäre Tat aus einem anderen Jahrhundert. Und doch geschieht es. Niedergeschlagenheit, weil der Krieg unabwendbar schien und scheint. Die Puzzlestücke aus den letzten Monaten fallen zusammen. Dennoch fällt es schwer, das Unvermeidliche auszusprechen, das Schlimmste anzunehmen, weil es unvorstellbar scheint, Krieg in der Ukraine. Livegetickerter Determinismus, das Wegrutschen der Gegenwart in Echtzeit, die eigene Ohnmacht alle fünf Sekunden aktualisiert. Nun die Soldaten, die beschossenen Kraftwerke, ukrainische Mütter, die ihren Kindern Zettel auf die Kleidung heften, auf denen die Blutgruppe geschrieben steht.

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Coronamonate. Februar 2022

Ab dieser Stelle vorerst kein neuer Eintrag mehr, es fühlt sich momentan nicht richtig und wichtig an, an den Coronamonaten weiterzuschreiben.

26. Februar | Kulissenwechsel

Wenig überraschend schiebt sich das Querdenken nahtlos über den Putinkrieg. Das Muster, das bisher für die Pandemie galt, wird nun auf die Ukraine gestülpt. Die Kulisse ändert sich, die Bühne bleibt, diese Umkehr des Denkens. Nicht in einer guten, produktiven Weise, die einen zwingt, die eigene Position zu NATO, Militarisierung, Ostpolitik, Medien, Energiepolitik kritisch zu hinterfragen, sondern dumpf, bockig, wehleidig, offensichtlich manipuliert, maßlos. Auch klar: Sowie Putin seinen Krieg verloren haben wird, wird die nächste Kulisse aufgebaut werden.

Ansonsten: Ab heute beginnt in Deutschland die Impfung mit dem proteinbasierten Impfstoff Novavax.

25. Februar | schreiben könnte ich

Schreiben könnte ich, dass heute, am vorletzten Abend meiner Isolation, der Schnelltest weiterhin einen zweiten Strich anzeigt und ich nicht so recht weiß, was ich von dieser positiven Information halten soll, es erscheint irrelevant, jede Information über Corona scheint unwichtig, wie etwas von gestern, überholt, zu den Akten gelegt angesichts der weiterhin unwirklichen Nachrichten aus der Ukraine – Häuserkampf in Kiew, selbstgebastelte Molotowcocktails gegen russische Soldaten, rollende Panzer, Väter, die sich weinend von ihren Kindern verabschieden, um in den Kampf zu ziehen, 20000 Maschinengewehre, die Zivilisten überreicht werden, erhöhte Strahlungswerte im eroberten Tschernobyl, Metrostationen, in denen Menschen Zuflucht suchen, Raketensperrfeuer, Deutschland, das 5000 Helme Richtung Osten schickt.

24. Februar | die Zukunft, die graue

Heute vor zwei Jahren stand ich in einer Apotheke und kaufte Masken, weil ich die vage Befürchtung hatte, die Zukunft könnte diesen Kauf notwendig machen. Hätte ich damals geahnt, dass ich genau zwei Jahre später das Virus in mir trage und deshalb in Isolation bin, während eine Pandemie über sechs Millionen Opfer gefordert hat, hätte ich geahnt, dass genau zwei Jahre später Putin seine Soldaten die gesamte Ukraine angreifen und zerstören lässt, dann…

Es ist unwichtig, was ich dann gemacht hätte. Ich, diese Einträge sind es angesichts der Nachrichten. Dabei ist heute alles – trotz dessen, dass es die Welt betrifft – auch ich, weil die furchtbaren Ereignisse – ein Krieg – durch mich gehen und ich sie irgendwie verarbeiten muss, etwas, das schlicht unmöglich ist. Wie will ich die Information, dass ein Krieg beginnt, die unzähligen, unkontrollierbaren Informationen, die aus dieser Tatsache folgen, mit irgendwas in Einklang bringen? Soll ich fühlen, Worte wie »furchtbar« schreiben? Soll ich versuchen zu verstehen? Auf dem Laufenden bleiben? Es ist alles zugleich und zugleich ist es nichts, ist alles leer bei jedem Gedanken daran.

Vor zwei Jahren hätte ich niemals angenommen, dass so etwas wie eine Pandemie geschehen könnte. Noch weniger hätte ich angenommen, dass sie zwei Jahre meines Lebens, aller Leben bestimmt. Genauso wenig hätte ich angenommen, dass Putin Raketen auf Kiew schießt. Beides war unvorstellbar. Nein, nicht unvorstellbar. Immer gibt es Szenarien. Es gibt Szenarien von weltweiten Virenausbrüchen, gibt Szenarien von Kriegen. Das Schlimme ist vorstellbar. Es ist nur unvorstellbar, dass es Realität wird, Teil der nicht mehr gestaltbaren Zeit.

In der Pandemie ging und geht es unablässig darum, die nahe Zukunft zu kennen. Das war möglich und war es zugleich nur bedingt. Einher ging die Erkenntnis, dass trotz aller Prognosen, allem Wissen das Handeln eingeschränkt ist, das das Wissen um die Zeit nicht das bestmögliche Handeln garantiert. Nichts Neues unter dem Himmel, alle Zyniker finden sich bestätigt. Ich wollte niemals zynische Einträge schreiben.

Ja, eigentlich ist heute der Tag, an dem ich diese Coronamonate beenden wollte. Sollte. Zwei Jahre sind genug Worte dafür. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird. Schreibe ich bis Sonntag, bis ich die Isolation verlassen habe, ist das mein persönliches Ende der Pandemie, ein privater Schlusspunkt als universeller Schlusspunkt?

Vielleicht, vielleicht nicht. Jedenfalls das niederschmetternde Gefühl, dass die Pandemie weiterhin ist und sein wird und dennoch von jetzt an etwas Neues den Blick bestimmt, nicht ganz so nah, nicht ganz so komprimiert, noch undurchsichtiger, noch invasiver, ein Schnitt in der Zeit, unumkehrbar, etwas, das lange bleiben wird, das die nächsten Jahre, die 20er Jahre bestimmen wird, die Zukunft, die graue.

Ansonsten: welches Ansonsten?

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Coronamonate. Januar 2022.

31. Januar | Bad News Overkill

Im Kindergarten heute ein Omikronfall. So beginnen die Informationen, das Gehörte, das Aufgeschnappte und Gewhatsappte zu fließen und sich zu dutzenden Fragen aufzutürmen: Welche Gruppe? Welche Gruppe noch? Wer hatte Kontakt zu wem? Wann wurde schnellgetestet? Wann mit PCR? Welche Kinder waren am Schnelltesttag in der Gruppe? Welche Erzieherinnen? Wo waren Kinder und Erzieherinnen später? Wann kommt der Anruf vom Gesundheitsamt mit den weiteren Anweisungen? Was sagen diese Anweisungen? Welche Gruppe wird geschlossen? Wie lange? Bedeutet das Quarantäne? Was ist mit möglichen Geschwisterkindern in anderen Gruppen? Bleiben die auch zuhause? Was ist mit den Elternteilen, geimpft, geboostert? Gibt es ungeimpfte Erzieherinnen? Wann endet eine mögliche Quarantäne? Kann man sich freitesten? Werden Einjährige überhaupt getestet?

Lauter Fragen praktischer Art, weil an den Antworten die nächsten Tage, die Woche, alle Pläne hängen, auch die Sorgen. Das Hypothetische, das Wahrscheinliche wird allmählich Realität, gießt sich in den Februaranfang.

Darüber hinaus lese ich von einer dänischen Studie, die Long Covid bei Kindern beschreibt. Lese von der Omikron-Variante BA.2, die noch ansteckender ist und den Immunschutz noch gewissenhafter umgeht. Lese, dass nach Omikron durchaus wieder das gefährlichere Delta kommen könnte. Lese über die Endemie: a disease can be endemic and both widespread and deadly. Und das reicht dann mal an schlechten Nachrichten für einen Tag und ich klappe das Ansonsten zu.

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Und dann lese ich doch weiter. Einen interessanten Thread darüber, wie wenig hilfreich das Aussprechen schrecklicher Wahrheiten ist, wenn es allein dazu dient, Fatalismus zu zelebrieren, und ob es nicht sinnvoll wäre zu fragen, wie das Schlimme als Chance für eine Veränderung hin zum Besseren formuliert werden könnte. Und das könnte ja ein Vorsatz für den Februar sein.

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