24. Februar | Coronajahr

12 Monate Coronamonate, ein Coronajahr. Am 24. Februar beginne ich mit dem Notieren, damals unvorstellbar, dass ich ein Jahr daran sitzen werde. Heute, 130000 Wörter später, schreibe ich: Es gab nie ein anderes Ziel außer aufschreiben, wenn notwendig. Notwendig heißt jeden Abend. Als mir klar wird, dass Coronamonate nicht den Plural von zwei Monaten meint, wird das Ziel erweitert auf: bis Sommer weiterzumachen. Dann bis Jahresende. Dann ein Jahr vollzuschreiben. Das Jahr ist vorbei, die Pandemie noch lange nicht.
Ist es noch notwendig zu schreiben? Und selbst wenn: Was ist notwendiger für mich? Ich fühle mich ausgelaugt und erschöpft, leergeschrieben, leergedacht, leerempfunden. Ich nehme mir vor, von nun an tatsächlich weniger zu notieren, weniger Einträge die Woche, keinesfalls täglich. Das ständige Kreisen um das Eine, das anfangs so geholfen hat, zerrt an mir, drückt mich ständig in eine Ecke, lässt mich nicht heraus.
Ich wäre gern in der Lage, eine Art Resümee zu ziehen, rückblickend zu schauen und Erkenntnisse mich selbst und alles andere betreffend aus den Untiefen des Ansonsten zu ziehen. Was ist noch nicht geschrieben, was nicht geschehen? Dass ein Impfstoff verschmäht wird? Die Zahlen, die gerade heute »rund« werden? Eine weitere Welle, eine weitere Skepsis, eine weitere Maske auf dem Gehweg? Corona ist Bestandteil meiner Biografie, Bestandteil jeder Biografie. Die Monate, die Jahre werden bleiben, die Zeit angeheftet, stets mit mir tragend, auch geimpft wird sich das Virus niemals mehr abschütteln lassen.
Ich bin froh, mein Coronagedächtnis hier abgelegt zu haben. Der Ballast ist ausgelagert, von hier an kann ich weitergehen. Ich kann zurückschauen und alles anders betrachten, aber dann werde ich nicht mehr mittendrin sein, nicht mehr schwimmen. Ich werde an Land stehen und aus der Ferne ein Urteil fällen.
Ich laufe durch den Park. Von der Ilm weht kühle Luft, der Winter steigt aus dem Wasser. Von oben arbeitet die klimakatastrophenerprobte Februarsonne die Schneeberge ab. Auf den Wiesen längst mehr Grün als Weiß. Am Römischen Haus spielen Trompeten, bei der Ruine des Tempelherrenhauses schlagen Männer den Rhythmus von They Don’t Care About Us gegen Cajóns. Ich bleibe nicht stehen, ich höre nicht zu, ich laufe weiter, immer weiter, spüre nichts als den Wunsch, etwas Neues zu beginnen, etwas, das die Tage nicht füllt mit Corona.
Ansonsten: AstraZeneca plant, die zugesagte Impfstoff-Menge für das zweite Jahresquartal zu halbieren. Weiterhin verbleiben viele AstraZeneca-Impfdosen unverimpft. In England wird für das geplante Ende der Coronamaßnahmen am 21. Juni ein Feiertag gefordert. Der B117-Anteil in Deutschland liegt bei 30%, eine Steigerung von 10% im Vergleich zur letzten Woche. Zum Impfstart in Afghanistan wird zuerst eine Journalistin geimpft, die für ihre Berichterstattung über Corona bekannt ist. Attila Hildmann wird per Haftbefehl gesucht. Das Virus als Animation. 68000 Coronatote in Deutschland. Eine halbe Million Coronatote in den USA. Weltweit fast 2,5 Millionen Coronatote.
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